Programm am Montag, 23.09.19

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(Gesamtprogramm als PDF (Stand 05.09.2019) / Übersicht Panels/Workshops als PDF / Rahmenprogramm als PDF)

Programmänderungen (Stand 25.09.2019)

10:30–12:30

P = Panel; W = Workshop; ✐ = thematischer Schulbezug

Themenbereich 1: Theorien und Konzepte von Zeit

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„Von Ewigkeit zu Ewigkeit“. Zeit (er-)zählen in volkssprachigen Geschichtswerken des Mittelalters TEIL I
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"Von Ewigkeit zu Ewigkeit". Zeit (er-)zählen in volkssprachigen Geschichtswerken des Mittelalters TEIL I

Das mittelalterliche Verständnis von Zeit weicht vom antiken wie vom gegenwärtigen in markanter Hinsicht ab. Die irdische Zeit beginnt mit der Schöpfung bzw. mit der Vertreibung aus dem Paradies und endet mit der Wiederkunft Christi zum Jüngsten Gericht. Dazwischen hat jedes einzelne Ereignis seinen festen Platz: Weltgeschichte ist universal und teleologisch, sie ist zugleich Heilsgeschichte und als solche berechenbar. Verschiedene makrostrukturelle Modelle bilden seit der Spätantike diese Zeitmodelle ab und strukturieren zugleich die erzählte (historische) Zeit: die augustinische Weltalterlehre, die Idee der vier Weltreiche nach Daniel und Hieronymus (und der translationes als Scharnier zwischen ihnen), die Abfolge von 'Alter Ee' und 'Niuwer Ee'.

1. Erzählte Zukunft

Eine Prämisse teilen all diese Makro-Schemata: Auch die Zukunft ist erzählbar. Nicht nur fordern Chronisten bis zu Hartmann Schedel (1493) ihre Nutzer oft auf, die Geschichte fortzuerzählen (und belassen dafür auch Leerseiten), sondern sie enden mitunter selbst erst am Ende der Welt (so Otto von Freising) oder bei den ‚Fünfzehn Vorzeichen vor dem Jüngsten Gericht (so einige Hss. der ‚Sächsischen Weltchronik‘). Auch fügen sie Zukunftsvisionen ein (so Merlins Prophetie in Geoffreys 'Historia regum Britanniae').

Mit der Frage nach der Zukunft und der Möglichkeit ihres Erzählens sind neben theologischen und narratologischen auch linguistische Aspekte berührt: Das mhd. Verbalsystem kennt kein (direktes) Futur. Zu fragen ist, welche Konsequenzen das für das Erzählen und/oder Denken von Zukunft hat. Chiliastische Spekulationen lassen die Frage hinzutreten, wie Chronisten reagieren, wenn die computistisch errechnete Endzeit immer wieder ausbleibt.

2. Facta und Ficta in der Zeit

Chronistisches Erzählen muss sich einem narratologisch-epistemischen Kernproblem stellen: Nicht erst Hayden White und der New Historicism warfen die Frage auf, wie man von vergangenen Dingen eigentlich erzählt – anders als von fiktiven? Otto von Freising und der deutsche Kaiserchronist erörtern das Problem um 1140/50. Dabei spielt die immer brisante Frage nach der Fiktionalität und Narrativität der Geschichte eine zentrale Rolle. Sie gilt es unter dem Zeitgesichtspunkt neu zu stellen (Hayden White tat dies bekanntlich 'nur' für das 19. Jh.).

3. Erzählen von Zeit und Geschichte

Zu den Strukturierungsmöglichkeiten von Zeit und der Narrativierung zukünftiger Zeiten tritt die Frage des Erzählens von Zeit und Geschichte: Wie wird Zeit in historischem und fiktionalem Erzählen mikronarrativ wirksam? Hier gilt es, Ergebnisse narratologischer, historischer und philosophisch-theologischer Zeit-Forschung (und ihrer unterschiedlichen Zeitbegriffe) zusammenzuführen.

Textsorten für die genannten Fragen und Themenanliegen sind Reim- und Prosachroniken mit fließenden Übergängen zu Bibel und Bibelepik. Ebenfalls in dieses Feld gehören die nur aus heutiger Sicht pseudo-historische Epik (z.B. Antikenroman), Legenden, pragmatische Literatur (Kalender, Prognostik, Stunden- und Gebetbuch) sowie im Bereich der 'Lyrik' v.a. Sangspruch und Formen der Rede, ohne dass die bewusst offen gehaltene Liste damit erschöpft wäre.

Vortragende:

Prof. Dr. Hans-Werner Goetz (Hamburg): "Zeit (er-)zählen in der mittellateinischen Chronistik"

Prof. Dr. Nine Miedema (Saarbrücken): "Tempus verbi in der Bibelepik"

Prof. Dr. Jürg Fleischer (Marburg): "Zum sprachlichen Ausdruck des Zukünftigen in der 'Kaiserchronik'

Prof. Dr. Mathias Herweg (Karlsruhe): "Lineare, zyklische, episodische Zeit in mhd. Chroniken

Sarah Hutterer/Prof. Dr. Stephan Müller (Wien): "Zeit und Ewigkeit erzählen. Spätmittelalterliche deutschsprachige Chroniken narratologisch betrachtet"

Dr. Christoph Schanze (Gießen): "'Nu denchent, wib unde man, / war ir sulint werdan.' Vom Ende der Zeit

Prof. Dr. Jürgen Wolf (Marburg): "Zukunft in volkssprachigen Geschichtswerken"

Was leisten digitale Verfahren für die Erforschung zeitlicher Aspekte in der Literatur? Beispiele aus aktueller Forschung
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Was leisten digitale Verfahren für die Erforschung zeitlicher Aspekte in der Literatur? Beispiele aus aktueller Forschung

Vortragende:

Prof. Dr. Fotis Jannidis (Würzburg)

Prof. Dr. Thomas Gloning (Uni Gießen)

Prof. Dr. Jan Christoph Meister (Hamburg)

„E.T.A. Hoffmann in kleinen Dosen“. Zeitgemäße Wissensvermittlung über ein Webportal
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"E.T.A. Hoffmann in kleinen Dosen". Zeitgemäße Wissensvermittlung über ein Webportal

Heutzutage versprechen Apps wie Blinkist eine enorme Belesenheit durch das Lesen oder Anhören von praktisch zusammengestellten Kernaussagen aus Sachbuch-Bestsellern; große Nachrichtenanbieter wie WELT informieren zu Beginn jedes Onlineartikels über die voraussichtliche Lesedauer. Zeit spielt in der Wissensaneignung eine immer größere Rolle. Was nicht häppchenweise über mobile Endgeräte während der Bahnfahrt, auf dem Crosstrainer oder im Wartezimmer konsumiert werden kann, hat wenig Chancen, wahrgenommen zu werden. Wie ein Webportal mit literaturwissenschaftlichen Inhalten konzeptionell auf diese Entwicklung reagieren und den Zeitfaktor angemessen berücksichtigen kann, soll in diesem Workshop am Beispiel des E.T.A. Hoffmann Portals erörtert werden. Welche der angebotenen Inhalte eigenen sich für eine Aufspaltung in „Häppchen“? Gehen dadurch Zusammenhänge verloren? Reagieren die Kernnutzergruppen (Forschende, Lehrende, Schüler*innen) unterschiedlich auf zeitliche Gesichtspunkte? Wie könnten entsprechende Angebote von Webportalen konkret aussehen? Diesen und weiteren Fragen gehen die Workshopteilnehmer gemeinsam auf den Grund. Sie loten Chancen und Grenzen knapper Informationspäckchen aus und diskutieren über ihren sinnvollen Einsatz. Neben den Verantwortlichen des E.T.A. Hoffmann Portals geben auch zwei Expert*innen aus Forschung und Lehrpraxis Denkanstöße für die Diskussion.

Das Portal bietet neben Funktionselementen wie einer datenbankübergreifenden Literatursuche und einer digitalisierten Sammlung zu Materialien von und zu E.T.A. Hoffmann Fachbeiträge von internationalen Forscher*innen verschiedener Disziplinen zu Bereichen wie Biografie, Wirken, Einflüsse und Rezeption der Künstlerpersönlichkeit; darüber hinaus aktuelle Blogartikel, Lehreinheiten für den schulischen Unterricht sowie interaktive Tools zu Hoffmanns Leben und Werk. Das E.T.A. Hoffmann Portal wird im Rahmen eines Projekts von der Staatsbibliothek zu Berlin in Kooperation mit der Staatsbibliothek Bamberg und der E.T.A. Hoffmann-Gesellschaft entwickelt und bietet den zentralen Einstieg in die Beschäftigung mit E.T.A. Hoffmann.

Vortragende:

Christina Schmitz (Berlin)

Ursula Jäcker (Berlin)

Prof. Dr. Andrea Bartl (Bamberg)

Dr. Torsten Mergen (Merzig)

M. Herweg, J. Wolf F. Jannidis, T. Gloning, J.-C. Meister U. Jäcker, C. Schmitz

Themenbereich 2: Repräsentationen von Zeit

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Gegenwart – Gelegenheit – Gebrauch. Zeitbezüge der Kasualdichtung seit dem 18. Jahrhundert
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Gegenwart - Gelegenheit - Gebrauch. Zeitbezüge der Kasualdichtung seit dem 18. Jahrhundert

Das Panel widmet sich den bislang weitgehend unerschlossenen Verlaufsformen und Transformationsphasen, die die Gelegenheitsdichtung seit dem Ende der Frühen Neuzeit durchläuft. Zentraler Ausgangspunkt hierfür ist der basale bewusstseins- und diskursgeschichtliche Umbau von Zeitkonzeptionen im 18. Jahrhundert, der sich insbesondere an der semantischen Neucodierung von ‚Gegenwart‘ bemerkbar macht. Sie ist nicht mehr nur eine räumliche Kategorie zur Signalisierung physischer Präsenz und Anwesenheit, sondern meint nun dezidiert die jeweilige Jetztzeit und verweist damit auf Prozesse der Verzeitlichung. Diese übergeordneten Verschiebungen lassen sich an den gattungsgeschichtlichen und darstellungstechnischen Entwicklungen der Gelegenheitsdichtung paradigmatisch verfolgen. Die Frühneuzeitforschung hat wichtige Impulse geliefert, um das an Poetik und Rhetorik orientierte Formen- und Funktionsspektrum der Kasualpoesie – Epicedien, Epithalamien, Panegyrik u.a.m. – systematisch zu beschreiben (Drux 1985). Derlei Beschreibugen begnügen sich allerdings zumeist mit der Verausgabung des Genres um 1700. An dieser Stelle möchte das Panel ansetzen und nach den Modi des situativen Gebrauchs von Lyrik unter den Bedingungen einer temporalisierten Gegenwart fragen. Hierbei rücken zugleich Probleme von Aktualität und Neuheit in den Blick, so dass die lyrischen Formen des Gebrauchs immer schon ihren zeitlichen Verbrauch einkalkulieren müssen. So werden die evaluativen Perspektiven in den Blick genommen, die das Gelegenheitsgedicht als paradigmatisch unmoderne Form im Sinne ästhetischer Heteronomievorstellungen abwerten. Demnach versteht sich das Panel einerseits als Beitrag zur Wertungsund Konfliktgeschichte der Anlassbezogenheit, andererseits ist es als historisch-perspektivische Ergänzung zur derzeit vor allem theorieaffinen Lyrikforschung gedacht.

Vortragende:

PD Dr. Christian Meierhofer (Bonn): Einführende Bemerkungen und historische Prämissen – Gegenwartsbewusstsein und Kasualdichtung im 18. Jahrhundert

Prof. Dr. Olav Krämer (Osnabrück): Aktuelle Anlässe und zeitlose Wahrheiten. Kasuale Strukturen im Lehrgedicht des 18. Jahrhunderts

Prof. Dr. Fabian Lampart (Potsdam): Epiphanies und glimpses. Zu einer Tradition der Gelegenheitslyrik im 20. Jahrhundert

Dr. Johannes Franzen (Bonn): Gebrauchslyrik. Zur Poetologie eines modernen Kampfbegriffs

Was vorher geschah … Zeitkonzepte in Comics und Implikationen für einen produktionsorientierten Deutschunterricht der Primarstufe
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Was vorher geschah … Zeitkonzepte in Comics und Implikationen für einen produktionsorientierten Deutschunterricht der Primarstufe

Vortragende:

Eva Wagner (Saarbrücken): Was vorher geschah... Zeitkonzepte in Comics und Implikationen für einen handlungs- und produktionsorientierten Deutschunterricht der Primarstufe

Der Augenblick als ästhetische Kategorie TEIL I
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Der Augenblick als ästhetische Kategorie TEIL I

Der sprichwörtlich „fruchtbare Augenblick“ bietet seit Lessings Laokoon (1766) eine besondere Herausforderung an die Repräsentationsformen von Zeit in der Literatur und den Künsten. Im Spannungsfeld zwischen Zeitkontinuum und Zeitenthobenheit sind Augenblicke aufgrund ihres transitorischen Charakters von jeher von Interesse, sie gelten gegenüber dem regelmäßig Wiederkehrenden als reizvoller und werden kontrastiv zum Alltäglichen inszeniert. In Abgrenzung zum „Moment“ oder zur „Einmaligkeit“ wohnt ihnen das Besondere inne, das sich in der Verbindung mit Begriffen wie Freude oder Glück äußert. Aufgrund ihres ephemeren Charakters gehen Augenblicke in der Literatur häufig mit Gefühlsdarstellung einher; sie sind im Liebesdiskurs präsent, werden aber ebenso mit plötzlichen Ereignissen oder dem Unheimlichen verbunden. Auch ist der Augenblick immer wieder Gegenstand philosophischer Reflexion – sei es bei Kierkegaard, wo er die Einheit von Zeitlichkeit und Ewigkeit verkörpert oder bei Paul Tillich, der im kairos den erfüllten geschichtlichen Augenblick vom chronos als dem Lauf der Zeit unterscheidet, sei es in der auf Husserl zurückgehenden phänomenologischen Tradition, in dessen Zeit-Modell der Augenblick zwar nicht singulärer erfüllter Moment ist, im unaufhaltsamen Prozess des Voranschreitens von Zeit jedoch eine bewegliche Scharnierstelle zwischen Vergangenheit und Zukunft bildet. Bei Maurice Merleau-Ponty als „Präsenzfeld“ oder „Jetztpunkt“ bezeichnet, wird der Augenblick zum prekären Moment erlebter und sich doch stets entziehender Zeitlichkeit. Während Berenson (1950) den „ästhetischen Augenblick“ rezeptionsästhetisch als mystisches Einswerden von Betrachter und Kunstwerk fasst, wollen wir nach den ästhetischen Möglichkeiten und Formen seiner Repräsentation in der Literatur und anderen Künsten fragen. Im Sinne einer „ästhetischen Eigenzeit“ als „exponierte und wahrnehmbare Form [ ] komplexer Zeitgestaltung, -modellierung und -reflexion“ (SPP Ästhetische Eigenzeiten, Gamper et. al.) soll der Augenblick als ästhetische Kategorie gefasst und beschrieben werden. Im Rahmen des Themenbereichs 2: Repräsentation von Zeit, soll in diesem Panel diskutiert werden, wie der Augenblick als Erscheinungsweise von Zeit oder Zeitlichkeit in Literatur und verwandten Medien zur Darstellung kommt.

Vortragende:

Dr. Marta Famula (Paderborn): „Das augenblickliche Wetter.“ Gleichmäßigkeit und Kairos in Stifters früher Erzählung Das Haidedorf und Roland Barthes’ Gedanken zur Haiku-Dichtung

Dr. Sarah Pourciau (Berlin): Mediatrix der Kunst. Zu den weiblichen Medien des ästhetischen Augenblicks

Hannah Fissenebert (Berlin): Dramatische Augenblicke. Die Korrelation von tektonischen Metaphern und Zeitempfinden in der Theatertextanalyse

Sandra Ludwig (Kiel): Augenblicke ohne Lidschlag – Schnittfreie Darstellungen des Momenthaften in filmischen Plansequenzen

Vor Augen gestellt. Wahrnehmbarkeit und Darstellbarkeit von Zeit
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Vor Augen gestellt. Wahrnehmbarkeit und Darstellbarkeit von Zeit

Mit dem Begriff ‚Vor-Augen-Stellen’ werden gemäß rhetorischer Tradition zumeist sprachliche Verfahren und semantische Muster erfasst, die einen abwesenden Gegenstand so zu visualisieren vermögen, dass er gegenwärtig und lebendig erscheint. Das Panel arbeitet vor dem Hintergrund dieser gängigen Vorstellung gezielt die Frage nach den zeitlichen Dimensionen des rhetorischen Verfahrens der energeia heraus und perspektiviert damit Erkenntnisse des Netzwerks auf das Thema ‚Zeit’. Fokussiert werden zwei Aspekte:

Zum einen wird es darum gehen, wie und mit welchen Effekten in sprachlichen und bildlichen Medien Zeit vor Augen gestellt wird: Zeit als ein nicht-visuelles Phänomen bedarf, um vor Augen gestellt zu werden, der Metaphorisierung oder der semiotischen Übertragung entweder in ein materielles Zeichensystem oder in eine metrisch-rhythmische Codierung. Unter historischer Perspektive gilt es diese Übertragungsformen zu differenzieren, etwa wenn theologisch komplexe Konzepte von Zeit, z.B. die Verschränkungen von (Heils-)Geschichte und Ewigkeit, in ihren Paradoxien wahrnehmbar werden. Indem in der sprachlichen Adressierung und literarischen Repräsentation von Mittlerfiguren wie Maria oder Christus zugleich Geschichtlichkeit wie auch Ewigkeit mit Mitteln der Lyrik (Vorträge Claudia Lauer, Franziska Wenzel) oder im Rahmen narrativer Darstellungsverfahren (Vortrag Beatrice Trînca) visualisiert oder wenn intermedial im Modus der theatralen Performanz die zukünftige Zeit des Jüngsten Gerichts vergegenwärtigt wird (Vortrag Cornelia Herberichs), so sind diese Formen des Vor-Augen-Stellens in ihrer historischen Spezifik jeweils präzise zu kontextualisieren und zu analysieren. Doch auch um weltliche Konzepte von Zeit zu visualisieren, lassen sich spezifisch vormoderne, komplexe Strategien beobachten, etwa im Blick auf Prozesse menschlichen Alterns oder sozialgeschichtlicher Entwicklungen, die in Bilderserien durch Techniken der Addition und Aussparung vor Augen gestellt werden können (Vortrag Heike Schlie).

Zum anderen spielt Zeit in den Prozessen der Vergegenwärtigung und Verlebendigung eine eminente Rolle, insofern sie für das Transitive und Prozessuale des Vor-Augen-Stellens als Ermöglichungsbedingung konstitutiv ist. Im Oszillieren zwischen operativer und ästhetischer Dimension tritt Zeit in Erscheinung. Und die Zeitlichkeit des VAS kann als Verfahren bzw. Ermöglichungsbedingung auf diese Weise reflexiv werden. In den Vorträgen des Panels werden beide Aspekte – das Vor-Augen-Stellen von Zeit und die Zeitlichkeit des Vor-Augen- Stellens – jeweils aufeinander bezogen und diese Verhältnisse in ihren je unterschiedlichen Effekten analysiert.

Vortragende:

Dr. Pia Selmayr (Zürich) /Dr. Herfried Vögel (München): Moderation

JProf. Dr. Claudia Lauer (Mainz): Anschauliche Zirkularität in Frauenlobs Leich- und Sangspruchdichtung

PD Dr. Franziska Wenzel (Köln): Anschauliche Zirkularität in Frauenlobs Leich- und Sangspruchdichtung

PD Dr. Cornelia Herberichs (Stuttgart): Erinnerte Zukunft. Zur Poiesis des Jüngsten Gerichts im Geistlichen Spiel

JProf. Dr. Beatrice Trinca (Berlin): Erzählzeit und Zeit des Wunders im „Passional“

Dr. Heike Schlie (Salzburg): Die Zeit-Obsessionen des Buchhalters von Jakob Fugger (Matthäus Schwarz 1497-1574)

C. Meierhofer, J. Franzen E. Wagner Y. Al-Taie, S. Blum F. Wenzel
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Temporale Kohärenz. Zeitliche Gestaltung als (mentale) Dimension von Texten TEIL I
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Temporale Kohärenz. Zeitliche Gestaltung als (mentale) Dimension von Texten TEIL I

Das Panel thematisiert auf der symbiotischen Basis moderner linguistischer Tempus- und Literaturtheorie die Beteiligung von Tempus und Zeit an der Herstellung von Textualität in literarischen wie nichtliterarischen Texten, vornehmlich adressiert an Kinder und Jugendliche, aber auch an Erwachsene. Textualität wird hierbei produkt- wie prozessbezogen gefasst. D.h., es kann in Beiträgen sowohl aus produktions- als auch aus rezeptionsgeleiteter Sicht danach gefragt werden, was Tempus und Zeitdarstellung für die textuelle Gestaltung leisten. In der Arbeit im Panel möchten wir außerdem eine Verbindung von fachwissenschaftlicher, erwerbsbezogener und didaktischer Perspektive anstreben. Unter diesem Blickwinkel können Fragen des Erwerbs von (z.B.) Junktoren, kohäsiven Mitteln, Tempora und verbalen Distanzmarkern thematisiert werden, die als sprachliche Werkzeuge bei der Textproduktion oder der Textrezeption eine textkonstituierende Funktion innehaben.

Vortragende:

Prof. Dr. Birgit Mesch (Heidelberg)/Dr. Benjamin Uhl (Uni Paderborn): "Begrüßung und Einführung"

Prof. Sonja Zeman (Bamberg): "Kognitive, grammatische und textuelle Formen der temporalen Perspektivierung in narrativen Texten"

Prof. Björn Rothstein (Bochum): "Tempus, Textualität, Textsorte – und Lehrerausbildung"

Prof. Miriam Langlotz (Braunschweig)/Prof. Anja Binanzer (Uni Erfurt): "Temporale Junktoren in Kinderbüchern – Eine Analyse sprachlichen Inputs"

Caroline Schuttkowski (Bochum): "Die Relevanz temporaler Marker in der Textrezeption und -produktion aus Schülerperspektive."

Prof. Birgit Mesch (Heidelberg)/Jan-Gerhard Onken (Uni Oldenburg): "Zur Rezeptionskompetenz temporaler Kohäsionsmarker in der Sekundarstufe"

Dr. Linda Stark (Würzburg): "Die Rolle kommunikationssituativer Bedingungen im Erwerbsprozess: Zum Präteritumgebrauch beim Vorlesen"

Laura Drepper (Paderborn): "Tempuserwerb zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit – Wie entwickeln Vorschulkinder implizites Handlungswissen über die Tempusverwendung in narrativen Kontexten"

Prof. Dr. Michael Rödel (München): "Temporalisierungsstrategien beim Berichten"

Abschlussrunde

Lebenszeit und Weltzeit in der Frühen Neuzeit (16. bis 18. Jahrhundert)
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Lebenszeit und Weltzeit in der Frühen Neuzeit (16. bis 18. Jahrhundert)

Das Panel widmet sich, in Anlehnung an Hans Blumenbergs Studie Lebenszeit und Weltzeit (1986), Texten der Frühen Neuzeit, die das Verhältnis von Lebensspanne und Weltenlauf thematisieren. Wird es als grundsätzlich inkommensurabel aufgefasst, oder werden Strategien entwickelt, das einzelne Leben mit Naturgeschichte und/oder Heilsgeschichte zu verrechnen, ja gar in Einklang zu bringen? Wie gestaltet sich der frühneuzeitliche Blick auf die Individualbiographie angesichts der Geschichtlichkeit allen Seins? Verhält sich der Einzelne deskriptiv oder normativ der existentiellen Zeitlichkeitserfahrung gegenüber? Verfestigen sich Narrative der Weltzeitbewältigung, und sind es bestimmte Gattungen, die ein entsprechendes Reflexionsverhalten über ihre Faktur oder ihre Pragmatik hervorbringen und steuern?

Diese Fragen berühren ebenso aktuelle wie drängende Fragen der Frühneuzeitforschung, nämlich einerseits solche zu Formen und Funktionen biographischen und autobiographischen Schreibens, andererseits die zum Verhältnis von Wissen und Literatur bzw. Wissen und Erzählen: Seit dem 16. Jahrhundert explodieren die enzyklopädischen Wissensbestände, und mit der quantitativen Veränderung gehen qualitative Umakzentuierungen einher. Mit dem Wissen von der Welt baut sich auch das Wissen vom einzelnen Menschen (graduell und in weiten Verzweigungen) aus. Zu fragen ist daher, wie sich das neue Weltwissen gegenüber traditionellen Zugängen zur Welt (und zur Zeit) positioniert, wo Interaktionen und Gleichzeitigkeiten zu beobachten sind und wie sich wiederum die Literatur diesen Problembeständen gegenüber verhält.

Das Panel geht den skizzierten Fragen in verschiedenen Textsorten und auf verschiedenen Ebenen nach. In literarischen Utopien kollidieren auf Objektivität abgestellte Weltentwürfe mit ihren Anforderungen an das einzelne Subjekt ebenso wie mit ihrer narrativen Vermittlung durch einen homodiegetischen Erzähler (Bach), im versepischen Erzählen wird ein Heldenleben mit den Geschichtsverläufen abgestimmt (Werle). Schreibkalender fusionieren szientifisch-objektives Weltwissen mit individuell-biographischen Erfahrungswelten (Brockstieger), und Endzeitnarrative begegnen programmatisch der großen Lebensfrage (van de Löcht).

Prof. Dr. Dirk Werle (Heidelberg): "Lebenszeit und Weltzeit in epischen Versdichtungen der frühen Neuzeit"

Dr. Joana van de Löcht (Heidelberg): "Konvergenz von Lebenszeit und Weltzeit – Quirinus Kuhlmanns Eschatologie"

Dr. Sylvia Brockstieger (Heidelberg): "Verwaltetes Leben, erzähltes Leben. Schreibkalender zwischen Literatur und Wissen (16. bis 18. Jahrhundert)"

Dr. Oliver Bach (München): "Utopie und Lebenszeit in der Aufklärung"

Hetero-Chronologiken. Zur Diversität chronologischer Zeitvorstellungen in der Literatur um 1900
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Hetero-Chronologiken. Zur Diversität chronologischer Zeitvorstellungen in der Literatur um 1900

Die Voraussetzung, Geschichte neu zu schreiben, liegt darin, die herkömmliche Logik einer homogenen Herkunft und nationalen Entwicklung zu hinterfragen. Somit entsteht die theoretische Frage nach der Chronologik der Geschichte. Die Dekonstruktion hat dafür gesorgt, dass die Chronologik de-europäisiert und vervielfältigt wird. In der gegenwärtigen Forschung ruft man nach Alternativen, aber die Kritik bleibt vorwiegend bei der Dekonstruktion. Wir wollen neue Wege erproben, chronologische Ordnungen in ästhetischen Texten zu untersuchen. Eine Inspirationsquelle bietet hierfür Bruno Latours Konzept des 'Compositionismus': Unter Compositionismus (Latour 2016; 2017) versteht Latour eine alternative Methode zur Kritik. Neue Sinnzusammenhänge werden dabei komponiert, indem bislang getrennte Wissensfelder und Kunstformen miteinander kombiniert werden.

In den Panelbeiträgen werden vergleichbare 'kompositionelle' Verfahren in literarischen und ästhetischen Texten um 1900 untersucht. In Texten von Autoren wie beispielsweise Walter Benjamin, Alfred Döblin, Carl Einstein, Franz Kafka, Thomas Mann, Robert Müller, Oswald Spengler, Aby Warburg, Wilhelm Worringer u.a. wird mit heterogenen chronologischen Zeitvorstellungen experimentiert, um neuartige Verbindungen von Orient und Okzident, Mythos und Wissenschaft sowie Natur und Kultur zu schaffen. Die Gleichzeitigkeit heterogener Chronologiken erhöht auf diese Weise die Komplexität des Verhältnisses von Lebenszeit und Weltzeit und stellt große Anforderungen an ihre ästhetische Darstellung.

Vortragende:

Kyung-Ho Cha (Bayreuth): „Zeit und Geschichtsphilosophie bei Walter Benjamin“

Peter McIsaac (Ann Arbor): „Es ist keine Entwicklung in der endlosen Zeit, der Sinn zittert nur in ihr“: Döblins Das Ich über der Natur und Berlin Alexanderplatz aus kompositioneller Sicht

Christoph Sauer (Berlin): "Wir wußten mehr als die Greise, wir waren die unglücklichen Enkel, die ihre Großväter auf den Schoß nahmen, um ihnen Geschichten zu erzählen." - Geschichte und Geschichten in Joseph Roths 'Zeitroman' Radetzkymarsch

Nico Schmidtner (Bayreuth): „Ich wollte diese heutige Zeit. Etwas Scharfes, Aktives gegen das ‚Geschehen’ der Natur.“ Modelle der Zeit in Alfred Döblins Berge Meere und Giganten

Zeit als Herausforderung der Allgemeinen Literaturwissenschaft TEIL I
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Zeit als Herausforderung der Allgemeinen Literaturwissenschaft TEIL I

Zeit und Literatur sind auf komplexe Weise miteinander verwoben. Die Beiträge des Panels untersuchen einerseits Repräsentationen von Zeit in unterschiedlichen medialen Formaten der Literatur, andererseits diskutieren sie methodische Ansätze, die aus der Sicht der Allgemeinen Literaturwissenschaft eine systematische analytische Auseinandersetzung mit Zeit in Texten und anderen Medien ermöglichen. Die Gegenstände der Vorträge sind u.a. Zeitkonstruktionen in erzählenden und lyrischen Texten, zeitbezogene Dramen- und Theaterkonventionen um 1800, Zeitverhältnisse zwischen Erzählstimme und filmischer Darstellung, vernetzte Produktion und Rezeption von Literatur auf Webplattformen sowie Zeitbezüge in Praktiken der Selbstoptimierung.

Vortragende:

Prof. Dr. Jan Standke (Braunschweig): Begrüßung und Einführung

Rafael H. Silveira, M.A. (Jena): Literarische Zeit: Eine qualitative erzähltheoretische Analyse von Zeit in der Literatur

Dr. Ernst Thomas (Brüssel): Literatur als Prozess: Vernetzte Literaturproduktion und -rezeption auf Webplattformen als Problem der Literaturwissenschaft

PD Dr. Katharina und David Turgay (Landau): Zum Zeitverhältnis zwischen Erzählerstimme und filmischer Darstellung

B. J. Uhl, B. Mesch S. Brockstieger Kyung-Ho Cha, Chunjie Zhang J. Standke

Themenbereich 3: Zeit als historische Kategorie

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Zeiten der Materie. Interferenzen temporaler Existenzweisen in der Literatur vor/nach Darwin TEIL I
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Zeiten der Materie. Interferenzen temporaler Existenzweisen in der Literatur vor/nach Darwin TEIL I

Für Lebensräume, deren diverse Elemente in komplexer Weise voneinander abhängen, hat Darwin am Ende von The Origin of Species die Metapher wechselseitiger Verstrickungen („entangled“) geprägt (Darwin 1859). Vor dem Hintergrund des diachronen Verlaufs der Evolution fokussiert er damit auf die synchronen Interrelationen zwischen den Gliedern eines Netzwerks (Morton 2011). Impliziert sind darin auch „entangled times“ (Borgards 2017), miteinander verstrickte Eigenzeiten unterschiedlicher Seinsformen und Materialitäten. Das Erzählen menschlicher Geschichte(n), das schon seit dem zeittheoretischen Wandel (Koselleck 1979; Luhmann 1981) und der Verzeitlichung der Naturgeschichte um 1800 (Lepenies 1976) die Konkurrenz verschiedener „Zeitschichten“ (Koselleck 2000) in den Blick nimmt, hat somit nach 1859 eine neue, ökologische Dimension zeitlicher Interferenzen zu berücksichtigen: Wenn organische und anorganische Stoffe, menschliche und nicht-menschliche Akteure bzw. Existenzweisen (Latour 2001, 2014) sich in ihrer jeweils materiell bedingten Zeitlichkeit miteinander verstricken, so verändern sie in dieser Interaktion zugleich ihren gemeinsamen Lebensraum. In Frage steht, in welchen Ansätzen diese Konsequenz bereits vor 1859 in der literarischen Fiktion antizipiert wird. Das Panel besteht aus zwei aufeinander aufbauenden Sektionen für eine schwerpunktmäßige Betrachtung des ‚langen‘ 19. Jahrhunderts seit Buffons Entdeckung der erdgeschichtlichen „Tiefenzeit“ (Mc Phee 1981) im Jahr 1774 vor: Teil 1 ist dem von Buffon, Herder, Lamarck und Goethe geprägten Diskurszeitraum vor, Teil 2 jenem nach Erscheinen von Darwins Origin of Species im Jahr 1859 gewidmet. Insofern sich das genuine ‚Wissen der Literatur‘ als je gattungsspezifisches „Zeitwissen“ (Schneider 2013) begreifen lässt, sind die ästhetischen Verfahren, menschliches Leben in polychronen Gefügen zu erzählen, genrepoetologisch zu profilieren: Wie prozessieren Naturlyrik, Lehrgedicht, Essay, Idylle, Bildungsroman, Heimat- oder Science-Fiction-Literatur – jüngst als „ökologische Genres“ (Zemanek 2018) untersucht – vor und nach Darwin jeweils die „ungleichzeitige[n] Gegenwarten“ (Honold 2011) heterogener Entitäten?

Vortragende:

Dr. Jana Schuster (Bonn): Einführung

Hanna Hamel, M.A. (Berlin): Witterung (Herder und Goethe)

Dr. des. Oliver Völker (Frankfurt/M.): „Children of elder time": Zur Zeitlichkeit von Gedicht und Materie bei Percy Shelley

Lydia Doliva (Essen): „Eben so ist im Zeitbegriffe die Dauer blos relativ, wie eigentlich die Zeit selber.“ Zeit in den Gedichten (1827) und Naturphilosophischen Fragmenten (1814) von Christian Friedrich Burkhardt

ZEITKRITIK. Eine Leerstelle in der Gegenwartsliteratur?
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ZEITKRITIK. Eine Leerstelle in der Gegenwartsliteratur?

Die Verkündung vom Ende der Ideologien hat in den 1990er Jahren ihre scheinbare Bestätigung im Zusammenbruch der sozialistischen Systeme gefunden. Dies mag erklären, warum die deutschsprachige Literatur seitdem einen kritischen Blick von den Verhältnissen der eigenen Gegenwart abgewendet hat. Jedenfalls wird diese Diagnose, den gegenwärtigen Texten fehle eine zeitkritische Relevanz, von Jahr zu Jahr wiederholt. Allerdings drängt sich im Kontext der internationalen Entwicklungen der letzten Dekaden die Frage auf, ob nicht vielmehr das angebliche Ende der Ideologien als eine ‚große Erzählung‘ (Lyotard) betrachtet werden müsste und Zeitkritik in der Literatur demnach in einem neuen, anderen Gewand, eventuell gar als Ideologiekritik, zu finden ist.

Das Panel möchte an diesem Punkt ansetzen und die Frage nach der vermeintlich fehlenden Zeitkritik in der Literatur neu stellen. Bezogen auf die Zeitkritik bietet sich der Blick auf die Gegenwartsliteratur seit der Zäsur um 1989/90 an, die mit den anvisierten historischen Entwicklungen und den sich dort zeigenden Missständen verwoben ist. Wie haltbar ist die These vom Fehlen zeitkritischer Elemente in der Literatur seit dem Ende des Kalten Krieges? Gilt sie vielleicht für die 1990er Jahre, aber nicht mehr für die Zeit nach dem 11. September 2001, und lässt sich so ein sonst gerne behaupteter Einschnitt belegen?

Zweitens ist generell zu fragen, worin das kritische Moment der Texte seit 1989/90 besteht und in welcher Form es sich äußert. Als Arbeitsdefinition lässt sich etwa eine Bestimmung von ‚Kritik‘ über ihre Wirkungsfunktion ansetzen (Andeutung, Sensibilisierung, Lösungen, Aufruf zum Widerstand), wobei andere Konzepte zu diskutieren sind. Auf welche Themen(felder) bezieht sich die Zeitkritik und wie verhält sie sich im Hinblick auf literarische Innovation/Tradition? Mit welchen literarischen Gattungen, Genres, Schreibweisen und Erzähltechniken entwickelt die Gegenwartsliteratur zeitkritische Formen der Darstellung? Und: Lassen sich völlig neue Inhalte finden oder werden ältere zeitkritische Diskurse (z. B. Krieg, Massengesellschaft, Säkularisierung, Flucht, Kapitalismus) aufgerufen und nur punktuell neu akzentuiert?

Vortragende:

Ludmila Peters (Paderborn): Zeitkritik als Ideologiekritik? – Positionen und literarische Entwürfe in der Gegenwartsliteratur

Nataša Vukelić (Stockholm): Widersinn als Widerstand: zu Regel- und Erwartungsbrüchen in der deutschsprachigen Literatur des 21. Jahrhunderts

Roman Widder (Berlin): Spielräume und Aporien des Engagements in Alexander Schimmelbuschs Hochdeutschland (2018)

Anna Brod (Freiburg): Theaterstücke zum NSU als kritische Zeitstücke

Zeitenwechsel? Alternativen zur tradierten Literaturgeschichtsvermittlung
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Zeitenwechsel? Alternativen zur tradierten Literaturgeschichtsvermittlung

Vortragende:

Anna Chalupa-Albrecht M.A. / Maximilian Wick M.A. (München): Burg Runkelstein als literaturgeschichtlicher Lernort

Erik Dietrich (Siegen): Wie bieder war das Biedermeier? Konzepte zur didaktischen Nutzbarmachung einer "literarhistorischen Katastrophe"

Prof. Dr. habil. Karin Richter (Erfurt): Zeitgebundenheit und zeitübergreifende Elemente im Umgang mit klassischer Dichtung in der Grundschule

Sprachgeschichte und Sprachwandel für die Schule
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Sprachgeschichte und Sprachwandel für die Schule

Sprachgeschichte und Sprachwandel sind fester Bestandteil aktueller Bildungsstandards und Lehrpläne. Das didaktische Potenzial, das mit dem Erwerb von Kompetenzen wie „ausgewählte Erscheinungen des Sprachwandels kennen und bewerten […]“ (BS MS 2003: 16) verbunden ist, war in den vergangenen zwei Jahrzehnten Gegenstand mehrerer Forschungsarbeiten. Arbeiten wie FEISTNER ET AL. (2006), SCHWING-HAMMER (2013) oder BÖHNERT (2017) zeigen jedoch auch, dass die Diachronie von Sprache – ungeachtet der curricularen Verankerung und didaktischen Diskussion – in der Unterrichtspraxis nach wie vor eine untergeordnete Rolle spielt.

Diesen Befund möchten wir zum Anlass nehmen, im Rahmen eines Workshops zum Thema ‚Sprachgeschichte und Sprachwandel für die Schule‘ Einsatzmöglichkeiten von Sprachgeschichte und Sprachwandel im Unterricht zu skizzieren, wobei der Schwerpunkt auf Fragen der Didaktisierung und unterrichtspraktischen Umsetzung liegen soll. Mögliche Fragen in diesem Kontext sind:

1. Welche Inhalte im Bereich Sprachgeschichte und Sprachwandel können und sollen vermittelt werden und wie lassen sich diese möglichst lernertragreich und interessant vermitteln? Sollte Sprachgeschichte z.B. situativ eingesetzt bzw. in andere Kompetenzbereiche (Lesen, Schreiben, (synchrone) Grammatik) integriert werden oder sollte sie als eigenständiger Unterrichtsgegenstand behandelt werden?

2. Wie müssen didaktische und methodische Handreichungen gestaltet werden, sodass sie sprachgeschichtliche Inhalte bspw. stärker an die Lebenswelt der Lernenden knüpfen und vermehrt auf selbstentdeckendes Erschließen sprachlicher Prozesse setzen?

Ziel des Workshops ist die Diskussion bereits entwickelter Hilfen zur Unterrichtsvorbereitung (sprachgeschichtsbezogene Lehrwerkkapitel u.a. Unterrichtshandreichungen) und – hieran anknüpfend – die Entwicklung eigener Unterrichtsmaterialien, die anschließend (online) frei zugänglich zur Verfügung gestellt werden sollen. Mögliche Teilnehmende sind Fachwissenschaftler/- innen, Fachdidaktiker/-innen und Lehrkräfte, die am 16.-17.3.2018 an der Tagung "Sprachgeschichte für die Schule" an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz teilgenommen haben. Auf der Tagung ergab sich bereits ein produktiver Austausch von Fachwissenschaft, Fachdidaktik und Unterrichtspraxis hinsichtlich Status Quo und Desiderate von 'Sprachgeschichte für die Schule'. Wir würden uns freuen, die dort geäußerten Denkanstöße zum einen im Rahmen des Germanistentags mit einem breiteren Publikum, insbesondere mit Lehrerinnen und Lehrern, zu diskutieren und im Rahmen des Workshop-Formats in konkrete Unterrichtsmodelle und -konzepte zu überführen.

Literatur

Böhnert, K. (2017): Sprachwandel beobachten, untersuchen, reflektieren. Was Sprachgeschichte für den gymnasialen Deutschunterricht leisten kann. Frankfurt a.M.

Feistner, E./Karg, I./Thim-Mabrey, C. (2006): Mittelalter-Germanistik in Schule und Universität: Leistungspotenziale und Ziele eines Faches. Göttingen.

Kultusministerkonferenz (2003): Bildungsstandards im Fach Deutsch für den Mittleren Schulabschluss. Online: https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2003/2003_12_04-BS-Deutsch-MS.pdf. Zugriff: 04.04.2018.

Schwinghammer, Y. (2013): Das Mittelalter als Faszinosum oder Marginalie? Länderübergreifende Erhebungen, Analysen und Vorschläge zur Weiterentwicklung der Mittelalterdidaktik im muttersprachlichen Deutschunterricht. Frankfurt a.M.

Vortragende:

Dr. Jessica Nowak (Mainz)

Dr. Ines Heiser (Marburg)

Prof. Dr. Renata Szczepaniak (Hamburg)

Dr. Nikolaus Ruge (Trier)

Dr. Ylva Schwinghammer (Graz)

Katharina Lorenz (Aachen)

Ilka Lemke M.A./M.Ed.

Valentina Ringelmann B.A. (Bamberg)

Dr. Detlef Goller (Bamberg)

Prof. Dr. Hajo Diekmannhenke (Koblenz-Landau)

Dr. Katharina Böhnert (Aachen)

J. Schuster K. Eichhorn, L. Peters E. Dietrich J. Nowak, K. Böhnert

Themenbereich 4: Zeit als Motiv

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Auszeit. Ausstieg auf Zeit in Literatur und Film TEIL I
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Auszeit. Ausstieg auf Zeit in Literatur und Film TEIL I

Während im 21. Jahrhundert die soziologische, wirtschaftswissenschaftliche und berufspraktische Beschäftigung mit dem Modell der Auszeit boomt (Rajana Kersten: Von Auszeit und Alltag. Psychologische Untersuchung zum Erleben von Sabbaticals. Hamburg 2013; Thomas Hübner: Die Kunst der Auszeit: Vom Powernapping bis zum Sabbatical. München 2006), spielt ihre Erforschung als Motiv der Literatur-, Film- und Mediengeschichte bislang eine untergeordnete Rolle. Eine Kulturgeschichte der Auszeit ist noch nicht geschrieben, – obwohl zahlreiche mit der Idee der Auszeit einhergehende Vorstellungen (Abkehr vom Alltag, selbstreflexive Neujustierungen, Begegnungen mit dem Anderen, Ich-Erfahrung durch Welt-Erfahrung) als erzählerische Leittopoi die Literatur- und Filmgeschichte der Moderne prägen.

Das Konzept der Auszeit ist offenbar an genuin moderne Erfahrungen der Fremdbestimmung, der Arbeitsüberlastung, des Zeitdrucks gekoppelt. Spätestens seit dem 18. Jahrhundert wird es literarisch relevant. Das Spektrum literarisch imaginierter Ausstiegserzählungen reicht von Goethes Werther-Roman über Thomas Manns Zauberberg, Peter Handkes Die Lehre der Sainte-Victoire (1980), Sybille Bergs Die Fahrt (2007) bis zu den Sieben Nächten (2018) von Simon Strauß. Räumlich verbindet sich die Auszeit meist mit einem Rückzug in die Natur oder einem Auszug in fremde Erfahrungsräume, wo die Befreiung von den Zumutungen des Alltags und – im Falle künstlerischer Protagonisten – die Rückgewinnung der Kreativität in Aussicht steht. Eine besondere Zuspitzung erhalten Figurationen der Auszeit im Feld der postkolonialen Gegenwartsliteratur durch die „literarische Kategorie des kolonialen Aussteigers“ (Julian Osthues: Literatur als Palimpest. Postkoloniale Ästhetik im deutschsprachigen Raum. Bielefeld 2017, S. 131-143.). Texte wie Felicitas Hoppes Verbrecher und Versager (2004), Thomas von Steinaeckers Schutzgebiet (2009) oder Christian Krachts Imperium (2012) rücken Figuren in den Mittelpunkt, deren Charakteristik gerade darin liegt, „starre Ordnungen infrage zu stellen und normative Grenzziehungen zu irritieren, zu verschieben und zu überschreiten“ (ebd., S. 131.).

Filmgeschichtlich einschlägig ist in diesem Zusammenhang das Genre des ‚Road-Movie‘, das die Idee eines Ausstiegs auf Zeit mit (rauschhaften) Prozessen der Selbstfindung, dem Mehrwert interkultureller Begegnungen und radikalen Naturerfahrungen verbindet. Ähnliches gilt für Sonderformen des Abenteuerfilms, die das Individuum jenseits zivilisatorischer Ordnungen in einem zwischen Bedrohung und Befreiung changierenden Raum der Natur inszenieren (Into the Wild, 2007; Wild, 2014). Eine genderspezifische, mitunter triviale Engführung erfahren filmische Auszeit-Erzählungen dort, wo sie die weibliche Wanderlust stereotyp als Resultat einer gescheiterten Partnerschaft und fehlender Selbstverwirklichungsstrategien inszenieren (Eat, Pray Love, 2007; Under the Tuscan Sun, 2003)

Gemeinsam sind diesen literarischen wie filmischen Auszeit-Erzählungen Konzepte der Ort- und Zeitlosigkeit: Topographische wie temporale Strukturen scheinen in der Auszeit außer Kraft gesetzt oder neu generiert zu werden – es ist, bekennt stellvertretend Gustav Aschenbach vor seinem Aufbruch nach Venedig, die Sehnsucht nach „etwas Stegreifdasein, Tagedieberei, Fernluft und Zufuhr neuen Blutes“, welche die Auszeit endlich stillen soll.

Das Panel untersucht literarische Texte vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart sowie Beispiele aus der Filmgeschichte, die von der Auszeit erzählen, damit verbundene Prozesse der Selbsterfahrung und Identitätsfindung nachzeichnen und Räume in den Blick nehmen, an denen tradierte Gesetze der Zeit und des Ortes nicht mehr gelten sollen. Dabei ist zu fragen, wie sich die erzählte Auszeit zu jener anderen, fremdgetakteten Zeit verhält, die am Horizont auch dann noch präsent bleibt, wenn aus dem Ausstieg auf Zeit ein Ausstieg für immer wird. Gelingt es den Aussteigern überhaupt, aus der Zeit zu fallen? Wie drängt sich die Alltagszeit in die Auszeit hinein? Wie wird die Auszeit erzählerisch und filmisch gestaltet und inszeniert?

Eingeladen zur Mitarbeit an dem Panel sind zum einen theoretische/terminologische Positionierungen, die sich an einer Definition der Auszeit, in Abgrenzung zu oder im Rückgriff auf inhaltlich verwandte Begriffe wie Exil, Reise oder Urlaub versuchen. Zum anderen sind konkrete Textlektüren erwünscht, die spezifische Beispiele aus der Literatur- und/oder der Filmgeschichte in den Blick nehmen, ggf. auch einer vergleichenden, intermedial orientierten Lektüre unterziehen.

Vortragende:

Roya Hauck (Karlsruhe): Auszeit und Müßiggang in Schillers Der Geisterseher, Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre und Tiecks William Lovell

PD Dr. Jörg Schuster (Marburg / Oldenburg): Die Wanderung als Auszeit. Literarische Heterochronien des 19. Jahrhunderts

Dr. Robert Krause (Freiburg): ‚Urlaub vom Leben‘. Auszeit, Muße und Müßiggang in Robert Musils Epochenroman Der Mann ohne Eigenschaften

PD Dr. Nikolas Immer (Kiel): Melancholie am Meer. Erfahrungen der Dissolution in W.G. Sebalds Die Ringe des Saturn (1995)

PD DR. Michael Eggers (Bochum): Säkulare Pilgerschaft. Werner Herzogs Vom Gehen im Eis (1978)

Beatrice Adelheid May (Frankfurt/Main): „Es gibt nichts, was mich hält, Au revoir!“ – Formen des Eskapismus in neueren deutschsprachigen Popsongs.

Julian Weinert (Mainz): „Driving’s dreamlike state of mind“ - Meditation und Dromoskopie in Chris Petits CONTENT"

Zeit als Widerfahrnis: Ästhetik und Figuration passiv erfahrener Temporalität TEIL I
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Zeit als Widerfahrnis: Ästhetik und Figuration passiv erfahrener Temporalität TEIL I

In der neueren kultur- und literaturwissenschaftlichen Forschung lässt sich ein zunehmendes Interesse an verschiedenen Ausprägungen von Passivität beobachten. Mit ihnen artikuliert sich eine Skepsis gegenüber konventionellen Formen des Aktivseins (Können, Vermögen, Willenskraft, Handeln etc.), wobei die Bedeutungen „von der Passivität als Unterlassung oder Aussetzung des Handelns über die Passivität im Sinne von Rezeptivität und Sinnlichkeit, einschließlich ihrer gesteigerten Formen des Leidens oder der Leidenschaft, bis hin zu Unvermögen und Unmöglichkeit“ reichen. (Busch 2013: 15) Zu den Effekten und Themen, die der Habitus der Passivität nach sich zieht, gehören „Müdigkeit“, „Langeweile“, „Zaudern“, „Faulheit“, „Willensschwäche“, „Sensibilität“ und „Affizierung“ (ebd.). Diese und ähnliche Facetten der Passivität wurden in den letzten Jahren auch in den Literaturwissenschaften verstärkt diskutiert (vgl. u.a. Wellbery 2003; Gumbrecht 2011; Vogl 2008; von Koppenfels/Zumbusch 2016). Solche Phänomene verändern unser Nachdenken über ‚Zeit‘, da sie deren zweckrationale Nutzung und Ökonomisierung – beides Effekte des Paradigmas der Aktivität – außer Kraft setzen. Diese Ein- bzw. Ausklammerung der ökonomischen Dimension ermöglich nicht nur ein anderes Verhältnis zur Zeit (Zeit als Gegenstand von Erfahrung), sondern auch eine andere Wahrnehmung von Welt (Zeit als Medium der Erfahrung).

Vortragende:

Dr. Antonio Roselli (Magdeburg): "(Ohn-)Mächtige Subjekte: Bemerkungen zum Verhältnis von Passivität und Zeit"

Prof. Dr. Claudia Öhschläger (Paderborn): "Die Un-Zeit der Wiederholung in feuilletonistischen Städtebildern der Weimarer Republik"

Prof. Dr. Doren Wohlleben (Marburg): "Hieronymus im Gehäus. Sanduhrstimmung bei Dichter- und Denkerfiguren des 20. Jahrhunderts"

Prof. Dr. Iulia Patrut (Flensburg): "Wi(e)der-Fahrnis im Zeitgehöft. Zur Temporalität in der späten Lyrik Paul Celans"

Zwischen Zeit- und Historiendrama. Theorie und Praxis einer Gattung in den ,Krisenjahrzenten‘ 1840–1880
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Zwischen Zeit- und Historiendrama. Theorie und Praxis einer Gattung in den ,Krisenjahrzenten‘ 1840–1880

Spätestens im Zuge der Gattungsdiskussion der 1840er Jahre wird vom Drama verlangt, die zeitgenössischen Konflikte der nationalen bürgerlichen Gegenwart ins Werk zu setzen. Sowohl die Komödie als auch die Tragödie werden programmatisch als Zeitdrama entworfen. Der realistischen Gattungsprogrammatik zufolge sollte das bürgerliche Zeitdrama die zentralen Fragen der Zeit nicht nur realitätsnah abbilden, sondern zugleich mit einem positiven Wirklichkeitsbezug verklärend auflösen. Dieses Anforderungsprofil erwies sich jedoch als problematisch, weil sich die dramentheoretischen Vorgaben nur schwer mit einem aktuellen Stoffkreis verbinden ließen und stattdessen antike und mittelalterliche Stoffe in den Bühnen-werken dominierten, das Zeitdrama folglich in ein Spannungsverhältnis zum Historiendrama trat.

Das Panel soll in Kurzvorträgen (15 min) und anschließenden Diskussionen zunächst die konkreten Anforderungen referieren, die an das bürgerliche Zeitdrama gestellt wurden. Grundlage ist ein Korpus z.T. bisher kaum rezipierter dramenprogrammatischer Quellen (u.a. von J. Schmidt, H. Hettner, R. Gottschall), das den TeilnehmerInnen im Voraus zugänglich gemacht wird. In einem zweiten Schritt wird dieses Anforderungsprofil in Bezug zur dramati-schen Praxis und ihrer häufig diagnostizierten Krise gesetzt.1 In Vorträgen zu Dramentexten der 1840er bis 1880er Jahre (siehe Vortragsliste) wird der Frage nachgegangen, mit welchen Problemen sich Dramatiker konfrontiert sahen, die dem Ruf nach Darstellung ihrer Zeit – und sei es vermittelt über historische Stoffe – nachzukommen versuchten.

Vortragende:

Dr. Philipp Böttcher (Berlin): Zwischen Gegenwarts- und Geschichtsdarstellung. Literturprogrammatik und Dramenpraxis 1840-1880

Dr. Stefan Descher Göttingen): Germania beim Doctor. Robert Prutz’ Komödie „Die politische Wochenstube“

Dr. Constanze Baum (Berlin): „Hat Alles seine Zeit“ – Otto Ludwigs „Der Erbförster“ als Gegenwartstragödie

Dr. Sientje Maes (Leuven): Patriotischer Protest als Propaganda oder Po(s)se? Die vox populi in Heyses „Colberg“ als Ausdruck von Melancholie, Macht und Mythos

Dr. Jan Borkowski (Göttingen): „Deutsches Haus“ und „deutsches Reich“. Ernst Wicherts Die Realisten (1874) als Komödie der Gründerzeit

Das Anthropozän zwischen Tiefenzeit und Beschleunigung. Ästhetik, Funktion und Vermittlungsleistung literarischer Repräsentationen im Zeitalter des Menschen
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Das Anthropozän zwischen Tiefenzeit und Beschleunigung. Ästhetik, Funktion und Vermittlungsleistung literarischer Repräsentationen im Zeitalter des Menschen

Der Mensch ist zu einer treibenden globalen Kraft geworden. Als geologischer Faktor verändert er die Erde maßgeblich. Die Rede ist daher mittlerweile vom Anthropozän – dem Zeitalter des Menschen. Dessen Dauer ist ungewiss und hängt vom Überleben der Menschheit ab – sein Ende weist also in die Zukunft, während sein Beginn auf eine selbst für erdgeschichtliche Verhältnisse unerhörte Zunahme menschlicher Aktivität und Macht hindeutet. Diese wird mit dem Begriff der „Großen Beschleunigung“ (Great Acceleration) beschrieben und charakterisiert im Wesentlichen den Modus der heutigen Gesellschaft. Zugleich reflektiert der geologische Fachbegriff Anthropozän eine für den Menschen kognitiv nicht zu verarbeitende Tiefendimension erdgeschichtlicher Zusammenhänge und führt damit die Hybris menschlicher Selbstüberschätzung vor Augen. Prozesse der Beschleunigung sowie der „Deep Time“ (McPhee: Annals of the Former World. New York: Farrar, Straus and Giroux 1998) können daher als die zentralen Modi des Anthropozäns bezeichnet werden und auch die Reflexion der zeitlichen Dimension ist jeweils zentraler Bestandteil. Bereits Max Frisch beschreibt die Divergenz zeitlicher Modi im Anthropozän mit folgenden Worten: „Wenn der Kanton mit seinem gelben Bulldozer kommt, um da oder dort die Straße zu verbreitern, sieht man Moräne, Schutt von den großen Gletschern der Eiszeit; die Moräne ist so hart, daß gesprengt werden muß. Dann blasen sie drei Mal in ein kleines Horn und zeigen eine rote Fahne, kurz darauf prasselt es Kies und Geröll aus der Eiszeit.“ (Frisch 1979/2014: Der Mensch erscheint im Holozän. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 57f.) Die zunehmende Beschleunigung – z.B. in der Umgestaltung der Erdoberfläche, ist kennzeichnend für menschliche Tätigkeit im Anthropozän. Sie steht in Spannung zu dem tiefenzeitlichen Bewusstsein, das im neuen Zeitalter des Menschen reflektiert wird. Literaturwissenschaftlich bzw. literaturdidaktisch interessant ist nun, wie sich die beschriebene Divergenz der temporalen Modi des Anthropozäns in literarischen Texten manifestiert und reflektiert wird. Darum soll im Panel ausgehend von weiteren konkreten Text- und Medienbeispielen reflektiert werden, welche Erzählstrategien sich erkennen lassen, wie die ästhetische Umsetzung gestaltet ist und welche Impulse die literarischen Repräsentationen des Anthropozäns für eine werteorientierte Literaturdidaktik liefern können.

Vortragende:

Dr. Christian Hoiß (München): Die Menschheit dreht auf - Das Anthropozän zwischen Tiefenzeit und Beschleunigung

Prof. Dr. Kiley M. Kost (Minneapolis): Geologisches Denken und Schreiben: Peter Handke und die Tiefenzeit

Dr. Florian Schulz-Pernice (München): ›Nichts ist mir zu groß‹ - Zeit und literarische Bildung im Anthropozän"

Dr. Rebecca Gudat (Frankfurt): Das Konzept der Entschleunigung in der Literatur der Lebensreformbewegung

Prof. Dr. Sabine Anselm: ›Nur noch schnell die Welt retten‹ – Hysterie, Hype, Hybris?

Vor der Zeit – mit der Zeit. Entdeckungen neuer Schullektüren jenseits ausgetretener Pfade
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Vor der Zeit – mit der Zeit. Entdeckungen neuer Schullektüren jenseits ausgetretener Pfade

Das Panel stellt Texte etablierter Autoren in den Mittelpunkt, die oft in ihrer Zeit verkannt wurden, diese aber paradigmatisch spiegeln. Doch – gerade deswegen? – haben sie durch eine neue Lesart enormes Potential für den Unterricht und sind zudem viel kürzer und für Schüler zugänglicher als die bekannten Lektüren.

Schwerpunktmäßig antizipieren die Teilnehmer des Workshops eine Unterrichtseinheit zu Arthur Schnitzlers „Reigen“, die in einer Gruppenarbeit ohne Lektüre-Vorkenntnisse erschlossen werden kann (ca. 70 Minuten). Anschließend nähern sie sich exemplarisch Theodor Fontanes späten Werken „Mathilde Möring“ und „Stine“ (ca. 30 Minuten), die sich als inhaltliche Vorbereitung für die Literatur der Jahrhundertwende eignen und mit dem realistischen Erzählen auf moderne Prosa weisen. Für diese steht Irmgard Keuns wenig bekannter Exilroman „D-Zug dritter Klasse“ (ca. 20 Minuten).

Alle Texte können gattungsübergreifend über die Frage nach Schein und Sein der wilhelminischen Gesellschaft und über das für ihre Zeit ungewöhnliche Frauenbild erschlossen werden. Sowohl Fontane als auch Schnitzler gestalten Wirklichkeit, um Schein und Sein zu entlarven. Während Fontane die gesellschaftliche Wirklichkeit poetisch darstellt, inszeniert Schnitzler im Reigen den Schein als Wirklichkeit. Spezifisch ist dabei seine Aussparungstechnik der eigentlichen Problematik. Sie verweist auf die Rollendimension, die – als Vorläufer der Spieldimension – schon zum akzeptierten Weltbild gehörte. Bei Irmgard Keun stehen dann das Spiel mit der modernen Wirklichkeit, Konstruktion und Dekonstruktion, im Zentrum.

Folgende Werke werden besprochen:

Arthur Schnitzler, “Reigen”

Theodor Fontane, “Mathilde Möhring” und “Stine”

Irmgard Keun, “Das kunstseidene Mädchen” und “D-Zug Dritter Klasse”

Vortragende:

Gabriele Knoop (Hamburg)

Dr. Beate Kennedy (Kiel)

S. Catani, F. Marx A. Roselli, C. Öhlschläger P. Böttcher, S. Descher S. Anselm G. Knoop, B. Kennedy


14:00–16:00

P = Panel; W = Workshop; ✐ = thematischer Schulbezug

Themenbereich 1: Theorien und Konzepte von Zeit

W P ✐ P ✐ P P
„Von Ewigkeit zu Ewigkeit“. Zeit (er-)zählen in volkssprachigen Geschichtswerken des Mittelalters TEIL II
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"Von Ewigkeit zu Ewigkeit". Zeit (er-)zählen in volkssprachigen Geschichtswerken des Mittelalters TEIL II

Das mittelalterliche Verständnis von Zeit weicht vom antiken wie vom gegenwärtigen in markanter Hinsicht ab. Die irdische Zeit beginnt mit der Schöpfung bzw. mit der Vertreibung aus dem Paradies und endet mit der Wiederkunft Christi zum Jüngsten Gericht. Dazwischen hat jedes einzelne Ereignis seinen festen Platz: Weltgeschichte ist universal und teleologisch, sie ist zugleich Heilsgeschichte und als solche berechenbar. Verschiedene makrostrukturelle Modelle bilden seit der Spätantike diese Zeitmodelle ab und strukturieren zugleich die erzählte (historische) Zeit: die augustinische Weltalterlehre, die Idee der vier Weltreiche nach Daniel und Hieronymus (und der translationes als Scharnier zwischen ihnen), die Abfolge von 'Alter Ee' und 'Niuwer Ee'.

1. Erzählte Zukunft

Eine Prämisse teilen all diese Makro-Schemata: Auch die Zukunft ist erzählbar. Nicht nur fordern Chronisten bis zu Hartmann Schedel (1493) ihre Nutzer oft auf, die Geschichte fortzuerzählen (und belassen dafür auch Leerseiten), sondern sie enden mitunter selbst erst am Ende der Welt (so Otto von Freising) oder bei den ‚Fünfzehn Vorzeichen vor dem Jüngsten Gericht (so einige Hss. der ‚Sächsischen Weltchronik‘). Auch fügen sie Zukunftsvisionen ein (so Merlins Prophetie in Geoffreys 'Historia regum Britanniae').

Mit der Frage nach der Zukunft und der Möglichkeit ihres Erzählens sind neben theologischen und narratologischen auch linguistische Aspekte berührt: Das mhd. Verbalsystem kennt kein (direktes) Futur. Zu fragen ist, welche Konsequenzen das für das Erzählen und/oder Denken von Zukunft hat. Chiliastische Spekulationen lassen die Frage hinzutreten, wie Chronisten reagieren, wenn die computistisch errechnete Endzeit immer wieder ausbleibt.

2. Facta und Ficta in der Zeit

Chronistisches Erzählen muss sich einem narratologisch-epistemischen Kernproblem stellen: Nicht erst Hayden White und der New Historicism warfen die Frage auf, wie man von vergangenen Dingen eigentlich erzählt – anders als von fiktiven? Otto von Freising und der deutsche Kaiserchronist erörtern das Problem um 1140/50. Dabei spielt die immer brisante Frage nach der Fiktionalität und Narrativität der Geschichte eine zentrale Rolle. Sie gilt es unter dem Zeitgesichtspunkt neu zu stellen (Hayden White tat dies bekanntlich 'nur' für das 19. Jh.).

3. Erzählen von Zeit und Geschichte

Zu den Strukturierungsmöglichkeiten von Zeit und der Narrativierung zukünftiger Zeiten tritt die Frage des Erzählens von Zeit und Geschichte: Wie wird Zeit in historischem und fiktionalem Erzählen mikronarrativ wirksam? Hier gilt es, Ergebnisse narratologischer, historischer und philosophisch-theologischer Zeit-Forschung (und ihrer unterschiedlichen Zeitbegriffe) zusammenzuführen.

Textsorten für die genannten Fragen und Themenanliegen sind Reim- und Prosachroniken mit fließenden Übergängen zu Bibel und Bibelepik. Ebenfalls in dieses Feld gehören die nur aus heutiger Sicht pseudo-historische Epik (z.B. Antikenroman), Legenden, pragmatische Literatur (Kalender, Prognostik, Stunden- und Gebetbuch) sowie im Bereich der 'Lyrik' v.a. Sangspruch und Formen der Rede, ohne dass die bewusst offen gehaltene Liste damit erschöpft wäre.

Vortragende:

PD Dr. Ines Heiser (Eltville): "Zeitstrahl oder Cluster? Zeitkonzeptionen und ihre Didaktisierungen im schulischen Unterricht der Sekundarstufen"

Fremde Zeiten. Zur Zeitlichkeit in der transkulturellen Gegenwartsliteratur
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Fremde Zeiten. Zur Zeitlichkeit in der transkulturellen Gegenwartsliteratur

Texte der transkulturellen Gegenwartsliteratur sind in hohem Maße von einer Auseinandersetzung mit unterschiedlichen kulturellen Vorstellungen von Zeitlichkeit geprägt. In der literarischen Praxis transkultureller Literatur lassen sich sowohl thematische wie auch strukturelle Aspekte von Zeitlichkeit aufzeigen, die sich in die Texte eintragen. Transkulturelle Perspektiven thematisieren so die von ihnen strukturierte Zeit und lassen sich ebenso auf theoretische Aspekte von Zeitlichkeit beziehen. Bereits in einem grundlegenen Sinn zählt die Kulturdifferenz von Zeitlichkeit zu einem Ansatzpunkt zwischenkultureller Beobachtungen. Schon in der Theorie der Kulturstandards zählte die Dimension der Zeitlichkeit zu einem wesentlichen Orientierungspunkt. So ist in Geert Hofstedes Modell der Kulturdimensionen eine Dimension der zeitlichen Orientierung angelegt, die in den Verhaltenskomponenten von Kultur nach Edward T. und Mildred Reed Hall mit den Faktoren von Monochronie und Polychronie weiter spezifiziert wird. Auf der Ebene von Kulturbeobachtungen gehen diese Aspekte in die Perspektiven transkultureller Literatur ein, wie es vor allem in ihrer Essayistik, aber auch in der narrativen Differenz von Zeitwahrnehmung zeigt. Besonders in der Auseinadersetzung mit den Stereotypen des Oreientalismus werden diese Differenzen von Zeitwahrnehmung thematisiert. Andererseits folgen zahlreiche Texte der transkulturellen Literatur einem Gestus der Erinnerung. Nur scheinbar aber erweisen sich die Texte als Erinnerungstexte. Zwar wird der Gestus des Autobiographischen häufig aufgegriffen, tatsächlich sind es aber kaum noch Autobiographien im traditionellen Sinn, sondern andere Formen des Erzählens mit autofiktionalen oder sogar pikaresken Zügen. Vielmehr bilden die Texte performative Schauplätze von Dissoziationen und Verwerfungen, von denen auch ihre zeitliche Struktur betroffen ist. Transkulturelles Erzählen orientiert sich so zwar an lebensgeschichtlichen Mustern, folgt aber vor allem spezifischen Bruchlinien, die im Grenzgang zwischen den historischen Umbrüchen und lebensgeschichtlichen Deterritorialisierungen sichtbar werden, als „Secondhand-Zeit“, wie es die Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch stellvertretend für Ihre Generation in der post-sowjetischen Ära formulierte. Über Homi Bhabhas Thesen vom ‚Dritten Raum’ und ihren topologischen Mustern hinaus, soll im geplanten Panel gefragt werden, ob und wie Zeitlichkeit in transkultureller Literatur eine Zwischenposition einnimmt, von der aus sich die Problematik von ‚fremden Zeiten’ in der transkulturellen Gegenwartsliteratur thematisieren läßt.

Vortragende:

PD DR. Ulrike Stamm (Berlin): Fremde Zeiten im Werk deutsch-tschechischer Autoren (Libuše Moníková Ota Filip)

Dr. Monika Riedel (Dortmund): Brüche, Diskontinuitäten und Lücken.Zur Zeitlichkeit in der transkulturellen Gegenwartsliteratur am Beispiel einer Romantrilogie von Carmen-Francesca Banciu

Prof. Dr. Alexander Košenina (Hannover): Macht und Zeit: Christoph Ransmayrs China-Roman Cox

Ewigkeit, Zeit und Tod in der Literatur
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Ewigkeit, Zeit und Tod in der Literatur

Vortragende:

Dr. Florian Fischer (Siegen): "Tod und Ewigkeit in der zeitgenössischen analytischen Philosophie der Zeit"

Dr. Damiano Costa (Lugano): "Relativity and the After Live"

Prof. Dr. Truls Wyller (Trondheim): "Zeit, Tod und Dauer"

Dr. Ellen Pilsworth (Reading): "Fiktive Sterbebriefe im Siebenjährigen Krieg"

Philipp Ritzen (Düsseldorf): "Fuchs, Schlange und Pyrit – Zu Ewigkeit und Tod in Nis-Momme Stockmanns „Der Fuchs“"

August Wilhelm Schlegels Modellierung von Literaturgeschichte
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August Wilhelm Schlegels Modellierung von Literaturgeschichte

Frühromantische Modelle zur Literaturgeschichte prägten nachhaltig das moderne philologische Epochenverständnis. Mit ihnen setzte eine (kultur-)historische Dynamisierung von Literaturgeschichte ein, innerhalb derer alte Paradigmen abgelöst wurden. Doch erfolgte die Rezeption dieser neuen Literaturgeschichtsmodelle einseitig durch die Konzentration auf wenige prominente Positionen –darunter auch Friedrich Schillers Konzept der naiven und sentimentalischen Dichtung, das frühromantischen Entwürfen den Weg geebnet hat, vor allem jenen Friedrich Schlegels. Lange vernachlässigt wurden insbesondere die Berliner und Wiener Vorlesungen August Wilhelm Schlegels(Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst, Berlin 1801–1804; Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur, Wien 1808), die im Zentrum dieses Panels stehen sollen. Vor allem die Wiener Vorlesungen haben durch ihre breite Wirkung nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa nachhaltigen Einfluss auf die Literaturgeschichtsschreibung genommen, sind aber bis heute noch relativ wenig erforscht.

Im ersten Teil der Veranstaltung soll beleuchtet werden, welche Zeitvorstellungen sich mit August Wilhelm Schlegels Literaturgeschichtsschreibung verbinden, von welchen Traditionen diese geprägt sind (z.B. von Christian Gottlob Heyne, Johann Joachim Eschenburg sowie von frühromantischen Positionen) und in welchem Wechselverhältnis sie zu anderen zeitgenössischen Modellen (z.B. zum Konzept der „Weltliteratur“bei Christoph Martin Wieland und bei Johann Wolfgang von Goethe) stehen.

Im zweiten Teil werden aus August Wilhelm Schlegels Konzeption von Literaturgeschichte poetologische Konsequenzen für die literarische Tätigkeit um 1800 diskutiert. Grundannahme hierfür ist, dass Epocheneinteilungen immer mit poetologischen Wertungen verbunden sind: Welche Gattungen und Genres (über den Roman und das Sonett hinaus) gilt es zu verteidigen oder abzuwerten? Welche Traditionslinien werden infrage gestellt bzw. neu gezogen? Die Diskussion zielt insbesondere darauf, ‚hartnäckige‘ Dichotomien zur Epochenbestimmung für die Literatur um 1800 (Aufklärung vs. Romantik, Klassik vs. Romantik) weiter aufzubrechen.

Das Panel richtet sich v.a. an Nachwuchswissenschaftler/innen. Methodisch sollen neue Wege des Panel-Formats erprobt werden.

Vortragende:

Dr. Corinna Dziudzia (Gießen): "A. W. Schlegels Poesie-Geschichte und die Tradition der Historia Literaria"

Melanie Hein, M.A. (Marburg): "Nation und Europa ‒ A. W. Schlegels Literaturgeschichtsschreibung unter politischer Perspektive"

Dr. Stefan Knödler (Tübingen): "Jean-François de la Harpes 'Cours de littérature ancienne et moderne' in August Wilhelm Schlegels Vorlesungen 'Ueber dramatische Kunst und Literatur"

Johannes Schmidt, M.A. (Berlin): "Die Verwandlung der literarischen Vergangenheit in eine poetologische Zukunft. A. W. Schlegels Wiener Vorlesungen und die Dramatik nach 1800"

Topos der nahen Zukunft. Implikationen eines ,akuten‘ Zeitkonzeptes
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Topos der nahen Zukunft. Implikationen eines ,akuten‘ Zeitkonzeptes

In der jüngeren Gegenwartsliteratur wird auffällig oft – und nicht nur in der Science Fiction – von der nahen Zukunft erzählt; etwa in Juli Zehs Leere Herzen (2017), Michel Houellebecqs Unterwerfung (2015) oder Dave Eggers Der Circle (2013). Da die Handlungen der Texte lediglich ein paar Jahre nach deren jeweiliger Entstehungszeit situiert sind, geraten die Zeithorizonte und Zukunftsängste der Lesenden und Schreibenden in den Fokus der Darstellung. Wie jede Zukunftsfiktion zeichnet auch das Narrativ der nahen Zukunft ein spezifisches Bild der Gegenwart: Wenn es nur einer relativ kurzen Zeitspanne bedarf, um das Gefüge der Gegenwart in eine – sozial, politisch, ökologisch, technologisch – grundlegend transformierte, neue Welt zu überführen, so rückt eine akute Instabilität und Krisenhaftigkeit des ‚Jetzt’ in den Blick. Darüber hinaus stellt sich die Frage nach den Agenten und Triebkräften dieser Transformation, und mithin nach der Struktur von Ereignishaftigkeit und (historischer) Veränderung. Im Anschluss an Rüdiger Campes Beobachtung (2013), dass die vergegenwärtigte Zukunft zur vorherrschenden Art der Selbsterfahrung und Selbstbeschreibung wird“, und mit Rückgriff auf den in Analogie zum historischen Präsens gebildeten Terminus des „prognostischen Präsens“ sollen auch die formalen Implikationen des Topos der nahen Zukunft in der Gegenwartsliteratur diskutiert werden.

Im Rahmen des Panels möchten wir u.a. diskutieren, i) inwiefern sich ein verändertes Bild der Gegenwart abzeichnet, wenn die Möglichkeit eines rapiden Wandels in den Zeithorizont einer unmittelbar bevorstehenden Zukunft einrückt (Potenziale für zeitdiagnostische Analysen/ Spekulationen), ii) wie sich die Narrative der nahen Zukunft zum Genre der klassischen Utopie bzw. Dystopie verhalten (bezüglich Gattung, Handlungsführung, temporale Gestaltung), iii) in welcher Weise die Zäsur sowie auch die Kontinuitäten modelliert werden, die das Verhältnis der Gegenwart zur nahen Zukunft bestimmen, iv) welche Implikationen der Topos der nahen Zukunft für die Begrifflichkeit von Geschichte, Fortschritt oder Zivilisation hat.

Vortragende:

Prof. Dr. Stefan Willer (Berlin): „Verhinderte Zukunft. Präventionsfantasien in der Gegenwartsliteratur“

Dr. Ludmila Peters (Paderborn): „Die dystopische Leerstelle oder: Wie es dazu kam? – Nahe Zukunftsentwürfe als Scharnier zwischen Gegenwart und Dystopie“

Dr. Rahel Villinger (Basel): „Nur noch nahe Zukunft. Zeit in Kathrin Rögglas ‚alarmbereiten‘ (2010)“

I. Heiser K. Schenk F. Fischer, P. Ritzen C. Bamberg, K. Henzel A. Heimes, N. Moser

Themenbereich 2: Repräsentationen von Zeit

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Die Zeit in Graphic Novels
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Die Zeit in Graphic Novels

Vortragende:

M.A. Raphael Krause (Leipzig): "Durchdringende Überlagerung - Zum Zeiterzählen in Hier (McGuire/Kleiner)"

Dr. Alexander Horn (Kiel): "Sprachgeschichte im Comic. Potentiale eines didaktischen Vehikels"

Prof. aggr. Dott. Moira Paleari (Mailand): "Zeit gestalten - Der Sandmann von E.T.A. Hoffmann und Woyzeck von G. Büchner in Dino Battaglias Comic-Adaptionen

Der Augenblick als ästhetische Kategorie TEIL II
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Der Augenblick als ästhetische Kategorie TEIL II

Der sprichwörtlich „fruchtbare Augenblick“ bietet seit Lessings Laokoon (1766) eine besondere Herausforderung an die Repräsentationsformen von Zeit in der Literatur und den Künsten. Im Spannungsfeld zwischen Zeitkontinuum und Zeitenthobenheit sind Augenblicke aufgrund ihres transitorischen Charakters von jeher von Interesse, sie gelten gegenüber dem regelmäßig Wiederkehrenden als reizvoller und werden kontrastiv zum Alltäglichen inszeniert. In Abgrenzung zum „Moment“ oder zur „Einmaligkeit“ wohnt ihnen das Besondere inne, das sich in der Verbindung mit Begriffen wie Freude oder Glück äußert. Aufgrund ihres ephemeren Charakters gehen Augenblicke in der Literatur häufig mit Gefühlsdarstellung einher; sie sind im Liebesdiskurs präsent, werden aber ebenso mit plötzlichen Ereignissen oder dem Unheimlichen verbunden. Auch ist der Augenblick immer wieder Gegenstand philosophischer Reflexion – sei es bei Kierkegaard, wo er die Einheit von Zeitlichkeit und Ewigkeit verkörpert oder bei Paul Tillich, der im kairos den erfüllten geschichtlichen Augenblick vom chronos als dem Lauf der Zeit unterscheidet, sei es in der auf Husserl zurückgehenden phänomenologischen Tradition, in dessen Zeit-Modell der Augenblick zwar nicht singulärer erfüllter Moment ist, im unaufhaltsamen Prozess des Voranschreitens von Zeit jedoch eine bewegliche Scharnierstelle zwischen Vergangenheit und Zukunft bildet. Bei Maurice Merleau-Ponty als „Präsenzfeld“ oder „Jetztpunkt“ bezeichnet, wird der Augenblick zum prekären Moment erlebter und sich doch stets entziehender Zeitlichkeit. Während Berenson (1950) den „ästhetischen Augenblick“ rezeptionsästhetisch als mystisches Einswerden von Betrachter und Kunstwerk fasst, wollen wir nach den ästhetischen Möglichkeiten und Formen seiner Repräsentation in der Literatur und anderen Künsten fragen. Im Sinne einer „ästhetischen Eigenzeit“ als „exponierte und wahrnehmbare Form [ ] komplexer Zeitgestaltung, -modellierung und -reflexion“ (SPP Ästhetische Eigenzeiten, Gamper et. al.) soll der Augenblick als ästhetische Kategorie gefasst und beschrieben werden. Im Rahmen des Themenbereichs 2: Repräsentation von Zeit, soll in diesem Panel diskutiert werden, wie der Augenblick als Erscheinungsweise von Zeit oder Zeitlichkeit in Literatur und verwandten Medien zur Darstellung kommt.

Vortragende:

Dr. Kaltërina Latifi (London): Sprachliche Ruptur – eine Plötzlichkeit (bei Nietzsche)?

Marvin Baudisch (Frankfurt am Main): Seh(n)sucht im Augenblick: Döblins Die Zeitlupe als genealogisches Erzählexperiment

Thomas Kater (Münster): Wenn das quellende Wasser vor den Fenstern plötzlich fleischig wird... Zum poetischen Effekt des Augenblicks als eines „anderen Zustands“

Elisabeth Tilmann (Bonn): Die Ästhetisierung des Augenblicks in Peter Altenbergs Opern-, Theater- und Varietékritiken

Asynchronien in der Literatur des Mittelalters
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Asynchronien in der Literatur des Mittelalters

In der virulenten germanistischen Zeitlichkeitsforschung sind Figuren des Ungleichzeitigen oder Anachronistischen zunehmend in den Fokus gerückt. Gerade für die Vormoderne erweisen sich hybride Temporalitätsmodelle als Elemente spezifischer Wissenskulturen und als Teile künstlerischer und philosophischer Entwürfe. Artefakte scheinen in besonderer Weise geeignet, die schwierigen Verhältnisse abzubilden, die sich zwischen erinnerter Vergangenheit, Gegenwart und erwarteter Zukunft ergeben: Man denke an die komplexen christlichen Zeitentwürfe im Verhältnis von Jetzt- und Endzeit oder die besonderen Temporalitäten typologischen Denkens und liturgischer Performanz, oder auch an mythische Zeitentwürfe.

An der Untersuchung des Wechselspiels von temporalen und ästhetischen Phänomenen auf unterschiedlichen Ebenen können dabei speziell für die mittelalterliche Literatur bislang dominante Vorstellungen wie die einer ‚Präsenz’-Kultur oder eines naiven Zeit- und Geschichtsverständnisses, das verschiedene Zeitebenen schlicht zusammen denkt, überwunden werden. Werden verschiedene Zeitebenen überblendet, gegenübergestellt oder gegeneinander geführt, treten vielmehr ihr Konstruktionscharakter und ihr reflexives Potential hervor. Das Panel möchte erste Ergebnisse eines Berliner Forschungszusammenhangs vorstellen, der solche Strategien unter dem Begriff der Asynchronien erforscht und von affinen rezenten Konzepten wie Gleichzeitigkeit oder Simultaneität abgrenzt.

Im Mittelpunkt des Interesses steht damit einerseits die Frage, „auf welche Weise Zeit und Zeitlichkeit in Kommunikationssituationen, in Literatur [...] medien- und gattungsspezifisch, aber auch in ihrer genuinen Sprachlichkeit zur Erscheinung kommen, inszeniert und konstruiert werden.“ und andererseits „Zeit als Thema und Motiv“. Denkbar sind sowohl Analysen spezifischer Darstellungen von Asynchronien in mittelalterlichen Texten als auch Auseinandersetzungen mit dem Verhältnis von Text und Kontext sowie transmediale Phänomene, die sich als Asynchronien beschreiben lassen.

Vortragende:

Prof. Dr. Jutta Eming (Berlin): Asynchronien in der Literatur des Mittelalters (Einführung)

Prof. Dr. Jutta Eming (Berlin): „Senemære. Zur Verschränkung von Emotionalität und Temporalität in Gottfrieds Tristan“

Dr. Nina Nowakowski (Magdeburg): Letzter Prophet und erster Zeuge. Zu Johannes dem Täufer in der deutschen Bibelepik

Antonia Murath (Berlin): Asynchrone Assemblagen: Zu einem Artefakt als Träger multitemporaler Erzählwelten in ‚Mai und Beaflor‘ und ‚Emaré‘

Temporale Kohärenz. Zeitliche Gestaltung als (mentale) Dimension von Texten TEIL II
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Temporale Kohärenz. Zeitliche Gestaltung als (mentale) Dimension von Texten TEIL II

Das Panel thematisiert auf der symbiotischen Basis moderner linguistischer Tempus- und Literaturtheorie die Beteiligung von Tempus und Zeit an der Herstellung von Textualität in literarischen wie nichtliterarischen Texten, vornehmlich adressiert an Kinder und Jugendliche, aber auch an Erwachsene. Textualität wird hierbei produkt- wie prozessbezogen gefasst. D.h., es kann in Beiträgen sowohl aus produktions- als auch aus rezeptionsgeleiteter Sicht danach gefragt werden, was Tempus und Zeitdarstellung für die textuelle Gestaltung leisten. In der Arbeit im Panel möchten wir außerdem eine Verbindung von fachwissenschaftlicher, erwerbsbezogener und didaktischer Perspektive anstreben. Unter diesem Blickwinkel können Fragen des Erwerbs von (z.B.) Junktoren, kohäsiven Mitteln, Tempora und verbalen Distanzmarkern thematisiert werden, die als sprachliche Werkzeuge bei der Textproduktion oder der Textrezeption eine textkonstituierende Funktion innehaben.

Vortragende:

Prof. Dr. Birgit Mesch (Heidelberg)/Dr. Benjamin Uhl (Uni Paderborn): "Begrüßung und Einführung"

Prof. Sonja Zeman (Bamberg): "Kognitive, grammatische und textuelle Formen der temporalen Perspektivierung in narrativen Texten"

Prof. Björn Rothstein (Bochum): "Tempus, Textualität, Textsorte – und Lehrerausbildung"

Prof. Miriam Langlotz (Braunschweig)/Prof. Anja Binanzer (Uni Erfurt): "Temporale Junktoren in Kinderbüchern – Eine Analyse sprachlichen Inputs"

Caroline Schuttkowski (Bochum): "Die Relevanz temporaler Marker in der Textrezeption und -produktion aus Schülerperspektive."

Prof. Birgit Mesch (Heidelberg)/Jan-Gerhard Onken (Uni Oldenburg): "Zur Rezeptionskompetenz temporaler Kohäsionsmarker in der Sekundarstufe"

Dr. Linda Stark (Würzburg): "Die Rolle kommunikationssituativer Bedingungen im Erwerbsprozess: Zum Präteritumgebrauch beim Vorlesen"

Laura Drepper (Paderborn): "Tempuserwerb zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit – Wie entwickeln Vorschulkinder implizites Handlungswissen über die Tempusverwendung in narrativen Kontexten"

Prof. Dr. Michael Rödel (München): "Temporalisierungsstrategien beim Berichten"

Abschlussrunde

J.-F. Kern Y. Al-Taie, S. Blum J. Eming, J. Traulsen B. J. Uhl, B. Mesch
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„Eine Frage der Zeit“? Visualisierungen und Repräsentationen von Zeit in Print-, audiovisuellen und digitalen Medien (ab Sek. 1)
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„Eine Frage der Zeit“? Visualisierungen und Repräsentationen von Zeit in Print-, audiovisuellen und digitalen Medien (ab Sek. 1)

Vortragende:

Ann-Kristin Müller M.A. (Saarbrücken)

Prof. Dr. Julia Knopf (Saarbrücken)

Jannick Eckle (Saarbrücken)

Sina-Marie Schneider M.Sc. (Saarbrücken)

Formen der Gleichzeitigkeit in der Literatur der Moderne
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Formen der Gleichzeitigkeit in der Literatur der Moderne

Vortragende:

Jutta Gerber M.A. (Münster): Formen der Gleichzeitigkeit in der Lyrik

Sona Arasteh-Roodsary M.A. (Münster): Formen der Gleichzeitigkeit im Drama

Eva Stubenrauch M.Ed. (Bonn): Formen der Gleichzeitigkeit in der Prosa

Zeit als Herausforderung der Allgemeinen Literaturwissenschaft TEIL II
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Zeit als Herausforderung der Allgemeinen Literaturwissenschaft TEIL II

Zeit und Literatur sind auf komplexe Weise miteinander verwoben. Die Beiträge des Panels untersuchen einerseits Repräsentationen von Zeit in unterschiedlichen medialen Formaten der Literatur, andererseits diskutieren sie methodische Ansätze, die aus der Sicht der Allgemeinen Literaturwissenschaft eine systematische analytische Auseinandersetzung mit Zeit in Texten und anderen Medien ermöglichen. Die Gegenstände der Vorträge sind u.a. Zeitkonstruktionen in erzählenden und lyrischen Texten, zeitbezogene Dramen- und Theaterkonventionen um 1800, Zeitverhältnisse zwischen Erzählstimme und filmischer Darstellung, vernetzte Produktion und Rezeption von Literatur auf Webplattformen sowie Zeitbezüge in Praktiken der Selbstoptimierung.

Vortragende:

PD Dr. Anja Schonlau (Göttingen): Zeit in Dramentext und Aufführung. Überlegungen zu Analysekategorien und Dramen- und Theaterkonventionen um 1800

Dr. Gudrun Bamberger (Tübingen): Goethes Faust und der Augenblick

Dr. May Mergenthaler (Columbus, USA): Zeitverschränkung und Naturlyrik: Licht in Goethes „Harzreise“ und Hölderlins „Der Wanderer“

Johanna Tönsing, M.A. (Paderborn): Selbstoptimierung als Subjektivierungsfigur bei der die „vergegenwärtigte Zukunft zur vorherrschenden Art der Selbsterfahrung und Selbstbeschreibung wird“

Zeit erzählen. Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft in Roman und Film
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Zeit erzählen. Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft in Roman und Film

Das Panel Zeit erzählen. Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft in Roman und Film beschäftigt sich mit Zeitdarstellungen in Romanen und deren mögliche Umsetzung im Film. Bekanntermaßen sind sowohl der Roman als auch der Film narrative Medien, deren verbale und visuelle Kommunikation nicht nur in Bezug auf die (erzählte) Geschichte, sondern vor allem in Bezug auf den (narrativen) Diskurs entziffert und untersucht werden können. Die Zeitdarstellungen werden im Rahmen des Panels zum einen unter sprach- und literaturwissenschaftlichen Perspektiven anhand von Romanen aus verschiedenen Zeitperioden betrachtet. Da sich sowohl im Roman als auch im Film die Zeitdarstellung auf eine textuelle bzw. narrative Ebene bezieht, welcher die Zeitlichkeit des (Text-)Erlebens gegenübertritt, werden zum anderen die in den besprochenen Romanen enthaltenen Aspekte von Zeit – wie z. B. die ‚Pause‘, die ‚Simultaneität‘ oder das ‚Zeit-Bewusstsein‘ – in Anlehnung an die Medien- und Erzähltheoretischen Ansätze in Angriff genommen. Gemeinsam werden ausgewählte Romanszenen besprochen, welche sich für die Analyse der Zeitdarstellung sowie für eine (künftige) filmische Adaption besonders gut eignen. Das Ziel des Beitrags „Ohne daß er eigentlich wahrnahm, wie es geschah“ – Zeit-Bewusstsein im selbstreflexiven Erzählen am Beispiel von Friedrich Schlegels »Lucinde« ist es, Friedrich Schlegels narrative Transponierung der ‚ästhetischen Heteronomie‘ sowie die in ihr enthaltene Zeit-Konzeption anhand einer post-Genette’schen Relektüre seiner Lucinde (1799) zu analysieren. Die Erfahrungsbedingungen zeitlich beschleunigter Transformation um 1800 kommen in Friedrich Schlegels Roman nicht nur unter Aspekten wie Rhythmus, Tempo, und Stimmung zur Anwendung, sondern auch als Unterbrechungen, Dehnungen, Raffungen und Pausen die sich nicht zuletzt anhand von Termini der ‚Anordnung‘ (ordre) des Geschehens, der ‚Dauer‘ (durée) bzw. Geschwindigkeit des Erzählens und der ‚Häufigkeit‘ (fréquence) bestimmen lassen. Anhand ausgewählter Abschnitte werden die im Roman eingesetzten narrativ-technischen Mittel analysiert, die eine Reflexivität bewirken, – wie z. B. der Tempus- oder Personenwechsel. Bekanntermaßen gilt ein Text – sei es Roman oder Film – als ‚reflexiv‘, wenn er sich als technisch-sprachlicher Produktions- bzw. Ausdruckssystem selbst behandelt. Am Beispiel einer systematischen Auslegung der Reflexivität-induzierenden‘ Mittel, wird sich auch erstmal zeigen, dass und inwiefern sich die zum Charakteristikum des postklassischen Films erhobene Reflexivität als relevant für eine Umdeutung des dargestellten Zeit-Bewusstseins erweist.

Vortragende:

Dr. Orsolya Lenart (Budapest): "Die Pause als Gelegenheit für Wissensvermittlung im höfisch-historischen Barockroman - Zur Zeitgestaltung Des Ungarischen Kriegs-Romans E.W. Happels"

Elena Tikhonova (St. Petersburg): "Lexikalische Ausdrucksweisen der temporalen Beziehungen im Mittelhochdeutschen"

Dr. Yvonne Dudzik (Rostock): "Vergangenheitskonstruktionen, gegenwärtige Perspektiven und Zukunftsaussichten in Zeiten von Krisen und Flucht – am Beispiel dreier Romane der Kinder – und Jugendliteratur"

Dr. Sylwia Werner (Konstanz): "Das Konzept der Simultaneität in Rudolf Brunngrabers Roman: Karl und das Zwanzigste Jahrhundert (1932)"

Dr. Mirta Devidi (Mainz/Padua): "„Ohne daß er eigentlich wahrnahm, wie es geschah“ – Zeit-Bewusstsein im selbstreflexiven Erzählen am Beispiel von Friedrich Schlegels „Lucinde“

S.-M. Schneider, J. Eckle, J. Knopf, A.-K. Müller S. Arasteh-Roodsary, J. Gerber, E. Stubenrauch J. Standke M. Devidi

Themenbereich 3: Zeit als historische Kategorie

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Zeiten der Materie. Interferenzen temporaler Existenzweisen in der Literatur vor/nach Darwin TEIL II
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Zeiten der Materie. Interferenzen temporaler Existenzweisen in der Literatur vor/nach Darwin TEIL II

Für Lebensräume, deren diverse Elemente in komplexer Weise voneinander abhängen, hat Darwin am Ende von The Origin of Species die Metapher wechselseitiger Verstrickungen („entangled“) geprägt (Darwin 1859). Vor dem Hintergrund des diachronen Verlaufs der Evolution fokussiert er damit auf die synchronen Interrelationen zwischen den Gliedern eines Netzwerks (Morton 2011). Impliziert sind darin auch „entangled times“ (Borgards 2017), miteinander verstrickte Eigenzeiten unterschiedlicher Seinsformen und Materialitäten. Das Erzählen menschlicher Geschichte(n), das schon seit dem zeittheoretischen Wandel (Koselleck 1979; Luhmann 1981) und der Verzeitlichung der Naturgeschichte um 1800 (Lepenies 1976) die Konkurrenz verschiedener „Zeitschichten“ (Koselleck 2000) in den Blick nimmt, hat somit nach 1859 eine neue, ökologische Dimension zeitlicher Interferenzen zu berücksichtigen: Wenn organische und anorganische Stoffe, menschliche und nicht-menschliche Akteure bzw. Existenzweisen (Latour 2001, 2014) sich in ihrer jeweils materiell bedingten Zeitlichkeit miteinander verstricken, so verändern sie in dieser Interaktion zugleich ihren gemeinsamen Lebensraum. In Frage steht, in welchen Ansätzen diese Konsequenz bereits vor 1859 in der literarischen Fiktion antizipiert wird. Das Panel besteht aus zwei aufeinander aufbauenden Sektionen für eine schwerpunktmäßige Betrachtung des ‚langen‘ 19. Jahrhunderts seit Buffons Entdeckung der erdgeschichtlichen „Tiefenzeit“ (Mc Phee 1981) im Jahr 1774 vor: Teil 1 ist dem von Buffon, Herder, Lamarck und Goethe geprägten Diskurszeitraum vor, Teil 2 jenem nach Erscheinen von Darwins Origin of Species im Jahr 1859 gewidmet. Insofern sich das genuine ‚Wissen der Literatur‘ als je gattungsspezifisches „Zeitwissen“ (Schneider 2013) begreifen lässt, sind die ästhetischen Verfahren, menschliches Leben in polychronen Gefügen zu erzählen, genrepoetologisch zu profilieren: Wie prozessieren Naturlyrik, Lehrgedicht, Essay, Idylle, Bildungsroman, Heimat- oder Science-Fiction-Literatur – jüngst als „ökologische Genres“ (Zemanek 2018) untersucht – vor und nach Darwin jeweils die „ungleichzeitige[n] Gegenwarten“ (Honold 2011) heterogener Entitäten?

Vortragende:

Dr. Alexander Kling (Bonn): Einführung

Adrian Robanus, M.A. (Köln): Wilhelm Raabes Die Akten des Vogelsangs: Interferierende Zeitmodelle im Bildungsroman als ökologischem Genre

Dr. Philipp Kohl (München): Dostoevskijs Geologie der Moral

Matthias Preuss, M.A. (Bochum): Tempo und Trägheit imperialer Natur. Zur Konkurrenz der Zeiten in der deutschen Kolonialliteratur

Übersetzungskulturen der Frühen Neuzeit
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Übersetzungskulturen der Frühen Neuzeit

Programmziel des im Herbst 2018 eröffneten SPP 2130 „Übersetzungskulturen der Frühen Neuzeit“ ist die interdisziplinäre Erschließung der epochalen Bedeutung von Konzepten und Praktiken des Übersetzens als zentrale und ubiquitäre Kulturtechnik der Frühen Neuzeit (1450-1800).

Die europäischen Übersetzungskulturen wurzeln stark im philologischen Selbstverständnis der Humanisten, werden durch den Buchdruck befördert und greifen von der Antikenrezeption im Kontext einer zunehmenden Internationalisierung auf andere Wissensfelder über. Sprachliche, literarische und mediale Übersetzungsbewegungen bedingen sich gegenseitig und entfalten in ihrer permanenten Wechselseitigkeit eine kulturelle Dynamik. In der Folge wachsender Handelsbeziehungen kommt es zu einer europaweiten Intensivierung und Professionalisierung des Übersetzens. Diese wird gerade durch die potenzierte Mehrsprachigkeit und Territorialität im europäischen Raum beflügelt, strahlt über die kolonialen Wechselströme der Frühen Neuzeit weltweit aus und tritt dort in Interaktion zu eigenständigen Übersetzungskulturen, was zu globalen Rückkopplungen innerhalb Europas führt.

Das Schwerpunktprogramm fragt nach den gesellschaftlichen Leitvorstellungen, Wahrnehmungsmustern und Kommunikationsformen, die seit dem 15. Jahrhundert durch Praktiken des Übersetzens etabliert werden und bis in die Gegenwart von prägender Bedeutung sind. Es lädt dazu ein, sich mit den Problemen, Chancen und Konsequenzen verschiedener Formen der – auch kulturellen – Übersetzung in einer frühen Phase der Globalisierung auseinanderzusetzen und im Rückgriff auf den aktuellen translational turn eine Neuorientierung der Kulturwissenschaften vorzunehmen.

In dem Panel wird das Konzept des SPP 2130 zunächst inhaltlich und methodisch vorgestellt und die Kategorie der Zeit anschließend im Kontext von zwei germanistischen Einzelprojekten exemplarisch untersucht. Der schuldidaktische Beitrag thematisiert, wie die Übersetzungskulturen der Frühen Neuzeit auch in den Deutschunterricht integriert werden können.

Vortragende:

Regina Toepfer und Jörg Wesche: Übersetzungspraxis und Epochenbildung

Jennifer Hagedorn: Odysseus, Kirke und die Schweine. Homer-Übersetzungen des 16. Jahrhunderts aus intersektionaler Perspektive

Kerstin Brix: Antikenübersetzungen der Frühen Neuzeit im Deutschunterricht

Astrid Dröse: Akteure und Netzwerke der Liedübersetzung im 17. Jahrhundert

Epochenbewusstsein nach der Postmoderne
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Epochenbewusstsein nach der Postmoderne

Vortragende:

Dr. Luisa Banki (Wuppertal)

Prof. Dr. Klaus Birnstiel (Basel)

PD Dr. Erik Schilling (München)

Jprof. Dr. Hendrik Schlieper (Paderborn)

A. Kling R. Toepfer K. Birnstiel, E. Schilling

Themenbereich 4: Zeit als historische Kategorie

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„Schreiben ist Zeitarbeit.“ Zeit als Gegenstand poetologischer Reflexionen von 1968 bis zur Gegenwart
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"Schreiben ist Zeitarbeit." Zeit als Gegenstand poetologischer Reflexionen von 1968 bis zur Gegenwart

Zeit und Zeitlichkeit sind zentrale Themen auch in poetologischen Texten wie Essays, Werkstattgesprächen oder Poetikvorlesungen. Zum poetologischen Argumentations-arsenal der SchriftstellerInnen gehören zum Beispiel die symbolische Darstellung von Zeit, die erzählerische ‚Zeitigung‘ als Voraussetzung von Ordnung, das Verfügbarmachen von Zeit, die Zeitlosigkeit oder die Zeitkonstitution im schöpferisch-utopischen Akt.

Ausgehend von der Prämisse, dass SchriftstellerInnen ihr Schreiben immer auch bewusst als „Zeitarbeit“ (Juli Zeh) verstehen und mit ihren Reflexionen über die Grundlagen des eigenen Schreibens auf je unterschiedlich verstandene „Zeitprobleme“ (Niklas Luhmann) antworten, betrachten die BeiträgerInnen des Panels die spezifisch poetologischen Dimensionen von Zeit. Anhand von Texten von Hilde Domin, Rainald Goetz, Wolfgang Herrndorf, Felicitas Hoppe, Falk Richter, Kathrin Röggla und Marlene Streeruwitz untersuchen sie, wie die jeweiligen poetologischen Zeit-Modelle konzipiert sind und wie sie funktionalisiert werden. Von welchen produktions-, rezeptions- und wirkungsästhetischen Zeitkonzepten gehen sie aus? Und auf welche philosophischen, soziologischen, geschichtswissenschaftlichen, psychologischen oder ästhetischen Zeitkonzepte rekurrieren sie?

Vortragende:

Dr. Johannes Birgfeld (Saarbrücken): Zeitbezüge im politischen Gegenwartstheater

Dr. Johanna Bohley (Jena): Zeitreflexionen und Zeitformen bei Goetz, Herrndorf und Röggla

PD Dr. Anna Katharina Gisbertz (Mannheim): Poetologie der Zeitreise in Felicitas Hoppes Prosa

Associate Professor Dr. Gundela Hachmann (Louisiana): "Das Gedicht ist eine Zeitkonserve" oder "Das Entkommen der Zeit in einem Text": Die Frankfurter Poetikvorlesungen von Hilde Domin und Marlene Streeruwitz

Auszeit. Ausstieg auf Zeit in Literatur und Film TEIL II
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Auszeit. Ausstieg auf Zeit in Literatur und Film TEIL II

Während im 21. Jahrhundert die soziologische, wirtschaftswissenschaftliche und berufspraktische Beschäftigung mit dem Modell der Auszeit boomt (Rajana Kersten: Von Auszeit und Alltag. Psychologische Untersuchung zum Erleben von Sabbaticals. Hamburg 2013; Thomas Hübner: Die Kunst der Auszeit: Vom Powernapping bis zum Sabbatical. München 2006), spielt ihre Erforschung als Motiv der Literatur-, Film- und Mediengeschichte bislang eine untergeordnete Rolle. Eine Kulturgeschichte der Auszeit ist noch nicht geschrieben, – obwohl zahlreiche mit der Idee der Auszeit einhergehende Vorstellungen (Abkehr vom Alltag, selbstreflexive Neujustierungen, Begegnungen mit dem Anderen, Ich-Erfahrung durch Welt-Erfahrung) als erzählerische Leittopoi die Literatur- und Filmgeschichte der Moderne prägen.

Das Konzept der Auszeit ist offenbar an genuin moderne Erfahrungen der Fremdbestimmung, der Arbeitsüberlastung, des Zeitdrucks gekoppelt. Spätestens seit dem 18. Jahrhundert wird es literarisch relevant. Das Spektrum literarisch imaginierter Ausstiegserzählungen reicht von Goethes Werther-Roman über Thomas Manns Zauberberg, Peter Handkes Die Lehre der Sainte-Victoire (1980), Sybille Bergs Die Fahrt (2007) bis zu den Sieben Nächten (2018) von Simon Strauß. Räumlich verbindet sich die Auszeit meist mit einem Rückzug in die Natur oder einem Auszug in fremde Erfahrungsräume, wo die Befreiung von den Zumutungen des Alltags und – im Falle künstlerischer Protagonisten – die Rückgewinnung der Kreativität in Aussicht steht. Eine besondere Zuspitzung erhalten Figurationen der Auszeit im Feld der postkolonialen Gegenwartsliteratur durch die „literarische Kategorie des kolonialen Aussteigers“ (Julian Osthues: Literatur als Palimpest. Postkoloniale Ästhetik im deutschsprachigen Raum. Bielefeld 2017, S. 131-143.). Texte wie Felicitas Hoppes Verbrecher und Versager (2004), Thomas von Steinaeckers Schutzgebiet (2009) oder Christian Krachts Imperium (2012) rücken Figuren in den Mittelpunkt, deren Charakteristik gerade darin liegt, „starre Ordnungen infrage zu stellen und normative Grenzziehungen zu irritieren, zu verschieben und zu überschreiten“ (ebd., S. 131.).

Filmgeschichtlich einschlägig ist in diesem Zusammenhang das Genre des ‚Road-Movie‘, das die Idee eines Ausstiegs auf Zeit mit (rauschhaften) Prozessen der Selbstfindung, dem Mehrwert interkultureller Begegnungen und radikalen Naturerfahrungen verbindet. Ähnliches gilt für Sonderformen des Abenteuerfilms, die das Individuum jenseits zivilisatorischer Ordnungen in einem zwischen Bedrohung und Befreiung changierenden Raum der Natur inszenieren (Into the Wild, 2007; Wild, 2014). Eine genderspezifische, mitunter triviale Engführung erfahren filmische Auszeit-Erzählungen dort, wo sie die weibliche Wanderlust stereotyp als Resultat einer gescheiterten Partnerschaft und fehlender Selbstverwirklichungsstrategien inszenieren (Eat, Pray Love, 2007; Under the Tuscan Sun, 2003)

Gemeinsam sind diesen literarischen wie filmischen Auszeit-Erzählungen Konzepte der Ort- und Zeitlosigkeit: Topographische wie temporale Strukturen scheinen in der Auszeit außer Kraft gesetzt oder neu generiert zu werden – es ist, bekennt stellvertretend Gustav Aschenbach vor seinem Aufbruch nach Venedig, die Sehnsucht nach „etwas Stegreifdasein, Tagedieberei, Fernluft und Zufuhr neuen Blutes“, welche die Auszeit endlich stillen soll.

Das Panel untersucht literarische Texte vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart sowie Beispiele aus der Filmgeschichte, die von der Auszeit erzählen, damit verbundene Prozesse der Selbsterfahrung und Identitätsfindung nachzeichnen und Räume in den Blick nehmen, an denen tradierte Gesetze der Zeit und des Ortes nicht mehr gelten sollen. Dabei ist zu fragen, wie sich die erzählte Auszeit zu jener anderen, fremdgetakteten Zeit verhält, die am Horizont auch dann noch präsent bleibt, wenn aus dem Ausstieg auf Zeit ein Ausstieg für immer wird. Gelingt es den Aussteigern überhaupt, aus der Zeit zu fallen? Wie drängt sich die Alltagszeit in die Auszeit hinein? Wie wird die Auszeit erzählerisch und filmisch gestaltet und inszeniert?

Eingeladen zur Mitarbeit an dem Panel sind zum einen theoretische/terminologische Positionierungen, die sich an einer Definition der Auszeit, in Abgrenzung zu oder im Rückgriff auf inhaltlich verwandte Begriffe wie Exil, Reise oder Urlaub versuchen. Zum anderen sind konkrete Textlektüren erwünscht, die spezifische Beispiele aus der Literatur- und/oder der Filmgeschichte in den Blick nehmen, ggf. auch einer vergleichenden, intermedial orientierten Lektüre unterziehen.

Vortragende:

Roya Hauck (Karlsruhe): Auszeit und Müßiggang in Schillers Der Geisterseher, Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre und Tiecks William Lovell

PD Dr. Jörg Schuster (Marburg / Oldenburg): Die Wanderung als Auszeit. Literarische Heterochronien des 19. Jahrhunderts

Dr. Robert Krause (Freiburg): ‚Urlaub vom Leben‘. Auszeit, Muße und Müßiggang in Robert Musils Epochenroman Der Mann ohne Eigenschaften

PD Dr. Nikolas Immer (Kiel): Melancholie am Meer. Erfahrungen der Dissolution in W.G. Sebalds Die Ringe des Saturn (1995)

PD DR. Michael Eggers (Bochum): Säkulare Pilgerschaft. Werner Herzogs Vom Gehen im Eis (1978)

Beatrice Adelheid May (Frankfurt/Main): „Es gibt nichts, was mich hält, Au revoir!“ – Formen des Eskapismus in neueren deutschsprachigen Popsongs.

Julian Weinert (Mainz): „Driving’s dreamlike state of mind“ - Meditation und Dromoskopie in Chris Petits CONTENT"

Zeit als Widerfahrnis: Ästhetik und Figuration passiv erfahrener Temporalität TEIL II
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Zeit als Widerfahrnis: Ästhetik und Figuration passiv erfahrener Temporalität TEIL II

In der neueren kultur- und literaturwissenschaftlichen Forschung lässt sich ein zunehmendes Interesse an verschiedenen Ausprägungen von Passivität beobachten. Mit ihnen artikuliert sich eine Skepsis gegenüber konventionellen Formen des Aktivseins (Können, Vermögen, Willenskraft, Handeln etc.), wobei die Bedeutungen „von der Passivität als Unterlassung oder Aussetzung des Handelns über die Passivität im Sinne von Rezeptivität und Sinnlichkeit, einschließlich ihrer gesteigerten Formen des Leidens oder der Leidenschaft, bis hin zu Unvermögen und Unmöglichkeit“ reichen. (Busch 2013: 15) Zu den Effekten und Themen, die der Habitus der Passivität nach sich zieht, gehören „Müdigkeit“, „Langeweile“, „Zaudern“, „Faulheit“, „Willensschwäche“, „Sensibilität“ und „Affizierung“ (ebd.). Diese und ähnliche Facetten der Passivität wurden in den letzten Jahren auch in den Literaturwissenschaften verstärkt diskutiert (vgl. u.a. Wellbery 2003; Gumbrecht 2011; Vogl 2008; von Koppenfels/Zumbusch 2016). Solche Phänomene verändern unser Nachdenken über ‚Zeit‘, da sie deren zweckrationale Nutzung und Ökonomisierung – beides Effekte des Paradigmas der Aktivität – außer Kraft setzen. Diese Ein- bzw. Ausklammerung der ökonomischen Dimension ermöglich nicht nur ein anderes Verhältnis zur Zeit (Zeit als Gegenstand von Erfahrung), sondern auch eine andere Wahrnehmung von Welt (Zeit als Medium der Erfahrung).

Vortragende:

Dr. Antonio Roselli (Magdeburg): "(Ohn-)Mächtige Subjekte: Bemerkungen zum Verhältnis von Passivität und Zeit"

Prof. Dr. Claudia Öhschläger (Paderborn): "Die Un-Zeit der Wiederholung in feuilletonistischen Städtebildern der Weimarer Republik"

Prof. Dr. Doren Wohlleben (Marburg): "Hieronymus im Gehäus. Sanduhrstimmung bei Dichter- und Denkerfiguren des 20. Jahrhunderts"

Prof. Dr. Iulia Patrut (Flensburg): "Wi(e)der-Fahrnis im Zeitgehöft. Zur Temporalität in der späten Lyrik Paul Celans"

K. Meiser S. Catani, F. Marx A. Roselli, C. Öhlschläger