Programm am Mittwoch, 25.09.19

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Programmänderungen (Stand 25.09.2019)

10:30–12:30

P = Panel; W = Workshop; ✐ = thematischer Schulbezug

Themenbereich 1: Theorien und Konzepte von Zeit

W ✐ P
Kurz, kürzer, Tiny Tales. Zum Einsatz von Kürzestgeschichten im Literaturunterricht der Primar- und Sekundarstufe
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Kurz, kürzer, Tiny Tales. Zum Einsatz von Kürzestgeschichten im Literaturunterricht der Primar- und Sekundarstufe Zeitlose

Vortragende:

Prof. Dr. Julia Knopf (Saarbrücken)

Ann-Kristin Müller (Saarbrücken)

Zeitlose Zeitdeutungen? Schicksal und Kontingenzabwehr in der Gegenwartsliteratur
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Zeitlose Zeitdeutungen? Schicksal und Kontingenzabwehr in der Gegenwartsliteratur

Wie denkt Literatur über gelebte Zeit nach? Wie wird Erlebtes gedeutet und eingeordnet? Menschen versichern und definieren sich hauptsächlich über das Erzählen ihrer Lebensgeschichte und konstruieren ›narrative Identitäten‹. Dabei generiert das Erzählen allein durch seine Linearität und Abgeschlossenheit schon eine potenziell sinngebende Struktur im Sinne einer ›Geschichte‹, die sich notwendig in eine bestimmte Richtung entwickelt. Darüber hinaus kommen jedoch auch häufig aktive Sinngebungsbemühungen im Sinne von Deutungen gelebter (und erzählter) Zeit durch die Art und Weise wie erzählt wird, zum Einsatz. Eine zentrale Kategorie der Zeitdeutung in der europäischen Geistesgeschichte ist das Konzept des Schicksals ‒ der Gedanke, dass in der erlebten Geschichte etwas eintritt, was genau so sein muss. Dass etwas nicht anders sein kann, dient vor allem der Abwehr der Bedrohung durch Kontingenz und Willkür und legitimiert so auch in ästhetischer Hinsicht den Entwurf von fiktionalen Handlungen. Der fiktionale Entwurf bindet sich also an ein Konzept zurück, das explizit mit einem vorangelegten Deutungsangebot von Lebenszeit ausgestattet ist bzw. legt gegen diese Prämisse Einspruch ein.

Im Vergleich mit der Literatur des 18. Jahrhunderts, in der ›Schicksal‹ als Sinngebungskategorie die bis dato dominierende Kategorie der Providenz ablöste, und unter der historischen Hypothek der Shoah scheint die Gegenwartsliteratur nicht unbedingt auf den Begriff des Schicksals eingeschworen zu sein. Sie kennt jedoch in großem Umfang Variationen des Schicksalhaften. Obwohl Schicksal als Begriff und Kategorie ausgedient hat, macht Schicksalhaftigkeit so eine zweite Karriere als Form- und Strukturprinzip. Genau dieser Zweitkarriere wollen wir nachgehen. Es ist z.B. danach zu fragen, wie Prinzipien des Schicksals und der Notwendigkeit in der Gegenwartsliteratur fortwirken bzw. gerade in ihrem Bruch zur Erscheinung kommen. Wird Schicksal gerade in der Betonung einer radikalen Kontingenz doch noch mit gedacht? Inwiefern findet vielleicht auch eine Renaissance des Schicksals statt, die eine Art paradoxe Vergangenheitsbewältigung darstellt? Gibt es gar eine neue Bewegung zurück zum Schicksal? Wie wäre eine solche Bewegung politisch einzuordnen? Ist das Schicksal in der Gegenwartsliteratur als ein latentes oder als ein manifestes Phänomen zu bewerten?

Vortragende:

Dr. Juliane Blank (Saarbrücken): "Zeitdeutung nach der Zäsur. Kontingenzproblematik und Schicksalsfragen in der deutschsprachigen (Post-)9/11-Literatur"

Kathrin Kazmaier (Hildesheim): "Die Geburt des Schicksals aus dem Geiste der literarischen Form. Märchenfluch und Weltkonstruktion in Martina Clavadetschers Knochenlieder"

Dr. Eva-Maria Konrad (Frankfurt/Main): "Zwischen Kontingenz und Schicksal: Literarische Uchronien"

Jasmin Pfeiffer (Saarbrücken): "'Irgendein Zufallsschicksal'. Kontingenz, Freiheit und auktoriale Vorherbestimmung bei Daniel Kehlmann"

Dr. Daniel Kazmaier (Saarbrücken): "Das Schicksal aus den Akten. Zur Deutung des eigenen Lebens anhand von Dokumenten in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur"

Loreen Dalski (Mainz): "Schöner Scheitern. Affirmativ fatalistische Lebensentwürfe in der Gegenwartsprosa"

Roxanne Phillips, M.A. (München): "'Wer hat das so arrangiert?' Unwahrscheinliche Zufälle, Schicksalsgöttinnen und erzählerische Interventionen in Moras Alle Tage"

PD Dr. Anja Gerigk (München): "Unsterblichkeit. Gegenfigur zum medienkulturellen Zeitgeist"

J. Knopf, A.-K. Müller J. Blank, D. Kazmaier

Themenbereich 2: Repräsentationen von Zeit

P W ✐ P+W ✐ P p
Alles Zeit, oder was? Unschärfe in der Relationssemantik
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Alles Zeit, oder was? Unschärfe in der Relationssemantik

Vortragende:

Prof. Dr. Doris Tophinke (Paderborn) & Dr. Marie-Luis Merten (Universität Paderborn): Einführung: Alles Zeit, oder was?

Jun.-Prof. Dr. Melitta Gillmann (Hamburg): Nachdem ich ein kontaktfreudiger Mensch bin... Herausforderungen bei der Annotation temporal/kausaler Subjunktoren

Dr. Marie-Luis Merten & Prof. Dr. Doris Tophinke (Paderborn): Von der zeitlichen Relation zur deontisch-illokutionären Lesart – Konstruktionswandel korpuslinguistisch

Literatur digital erforschen mit CATMA
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Literatur digital erforschen mit CATMA

Sie annotieren, analysieren und interpretieren Zeitphänomene in literarischen Texten? In diesem Workshop, der keine technischen Kenntnisse voraussetzt, vermitteln wir anhand von Thomas Manns früher Novelle Der Tod (1897), wie diese Arbeit mit CATMA (Computer Assisted Text Markup and Analysis; https://catma.de) digital unterstützt werden kann – und das sogar teilweise automatisiert.

CATMA ist ein kostenfrei nutzbares Online-Tool, das international in über 60 Forschungsprojekten eingesetzt und aktuell von ca. 12.000 Forscher*innen verwendet wird. Die im Rahmen des DFG-Projektes forTEXT (https://fortext.net) an der Universität Hamburg entwickelte Version 6.0 bietet eine intuitiv verständliche Oberfläche, mit der man im Handumdrehen Texte annotieren und analysieren lernt. CATMA unterstützt dabei

  • individuelle wie kollaborative Annotation und Analyse – Texte können privat, aber auch im Team erforscht werden;
  • explorative, non-deterministische Praktiken der Textannotation – CATMA liegt ein diskursiver, diskussionsorientierter Ansatz zur Textannotation zugrunde, der auf die Forschungspraktik hermeneutischer Disziplinen zugeschnitten ist;
  • die nahtlose Verknüpfung von Textannotation und -analyse in einer webbasierten Arbeitsumgebung – Analyse und Interpretation gehen nach dem Prinzip des ‘hermeneutischen Zirkels’ in CATMA damit Hand in Hand.

Von linguistischen Textanalysetools unterscheidet sich CATMA insbesondere durch seinen „undogmatischen” Ansatz: Das System schreibt weder definierte Annotationsschemata oder -regeln vor, noch erzwingt es die Verwendung von starren Ja-/Nein- oder Richtig-/Falsch-Taxonomien. Wenn eine Textstelle mehrere Interpretationen zulässt (wie es in Der Tod bei der Repräsentation von Zeit der Fall ist), ist es in CATMA daher möglich, mehrere und sogar widersprechende Annotationen zu vergeben und so der Bedeutungsvielfalt des Textes Rechnung zu tragen. Mit dem sog. Query Builder können Sie außerdem Schritt für Schritt Textanalysen durchführen, die Ergebnisse visualisieren und diese für Ihre literaturwissenschaftliche Interpretation nutzen.

Ziel des Workshops

Im Workshop werden wir den Arbeitsablauf der digitalen Texterforschung praktisch kennenlernen:

  • analytische Textexploration: Zeit als Thema und Motiv (30 Minuten)
  • manuelle und automatische Annotation und Spezifikation von Annotationskategorien zur Zeitrepräsentation (40 Minuten)
  • kombinierte Abfragen von Annotations- und Textdaten (30 Minuten)
  • visuelle Darstellung von Abfrageergebnissen (20 Minuten)

Teilnehmer*innen bringen ihren eigenen Laptop mit, der mit dem Internet verbunden ist (Achtung: Touch-Devices werden derzeit noch nicht unterstützt). Am Workshop können bis zu 30 Personen teilnehmen – eine Voranmeldung ist nicht nötig.

Vortragende:

Prof. Dr. Jan Christoph Meister

Dr. Jan Horstmann

Dipl. Inform. Marco Petris

Marie Flüh, M.Ed.

Die Rückkehr. Transmediale Analyse eines exponierten Moments der Figurendramaturgie TEIL I
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Die Rückkehr. Transmediale Analyse eines exponierten Moments der Figurendramaturgie TEIL I

Wenn die Figuren eines literarischen Textes, eines Films oder einer Fernsehserie einen Ort zurückkehren, der mit vergangenen Ereignissen verbunden ist, die den sozialen und persönlichen Horizont dieser Figuren geprägt haben, und wenn der genannte Ort sich mittlerweile spürbar verändert hat; oder umgekehrt: wenn der Ort unberührt blieb, die Figuren sich aber inzwischen gewandelt haben; oder wenn nur eine von zwei Figuren zurückkehrt, die andere jedoch nicht – diese und ähnliche Situationen implizieren auf diskursiver wie rezeptionsästhetischer Ebene einen Kulminationspunkt des Zeitbewusstseins. Man könnte von einer signifikanten Markierung des „empathischen Feldes“ (Wulff 2002) sprechen: Die Progression der erzählten Geschichte wird durch eine meist mehrfach kodierte analeptische Verweisungsstruktur unterbrochen, die eine besondere Dichte an Reflexionsvorgängen und emotionalen Erschütterungen erzeugt. Zur Debatte stünde jedoch auch, inwiefern derartige Texturen z. B. durch Ellipsen oder Ironisierungen unterlaufen werden können.

Momente der Rückkehr unterliegen genrespezifischen Konventionen, wofür sich unzählige Beispiele finden lassen: Im Krimi begeben sich Mörder*innen erneut an Ort des Verbrechens; im Western treffen Weiße auf die von Indianern zerstörte Farm und – in der verspäteten Umkehrung der Klischees – Indianer auf das von Weißen niedergemetzelte Dorf; in (Anti-)Kriegsepen wird den Heimkehrenden nicht die erhoffte Liebe entgegengebracht; im Melodram wird bei einer gedanklichen Rück-Versetzung an einen Ausgangszustand bedauert, den vermeintlich falschen Weg eingeschlagen zu haben. Genreunabhängig lassen sich narrative Muster beobachten, die sich quer durch die Literatur- und Mediengeschichte ziehen: In Rahmenerzählungen kann eine Rückkehr, indem sie Erinnerungen auslöst, den Übergang zur „Metadiegese“ (Genette 1998) einleiten; einem Happy-End geht häufig eine Strategie der Distanzierung und entsprechend eine Wieder-Annäherung voraus; eine verlässliche Erzählstruktur bringt immer wieder dieselben Motive ins Spiel und verknüpft sie nach Art einer Perlenkette; desillusionistische Verfahren verweigern diesen Rückzug auf vertrautes Terrain, aber die damit einhergehende Irritation des Rezeptionsprozesses hat, wenn sie gut eingefädelt ist (d. h. doch auf Bekanntes rekurriert?), ihren eigenen Reiz.

In dem Panel soll das Fragenspektrum, das mit den erwähnten Aspekten korreliert, an konkreten Beispielen untersucht und erweitert werden. Dabei soll auch diskutiert werden, inwiefern der Rückkehr-Topos über ein hinreichendes „Resonanzpotential“ (Rosa 2016) verfügt, um – in Zeiten einer dramatisch schwindenden Lesebegeisterung – Kinder und Jugendliche dazu zu motivieren, sich auch außerhalb des Deutschunterrichts einer durch verschiedene Medien vermittelten Lektüre-Erfahrung auszusetzen.

Vortragende:

Dr. Johannes Traulsen (FU Berlin): We Don’t Need Another Hero. Die schwierige Heimkehr des Helden in Mittelalter und Mittelalterrezeption

Dr. habil. Søren Fauth (Universität Aarhus, DK): „Der Weltwanderer“ und „der Hinhocker“. Heimkehr- und Welteroberungsmotive in Wilhelm Raabes Stopfkuchen

Dr. Dieter Merlin (Wien): Das Rückkehr-Motiv in neueren Western

Franz Kröber (FU Berlin): Choreographie und Variation: Das Motiv der Rückkehr in der Eleria-Trilogie

Zeit im Traum TEIL III
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Zeit im Traum TEIL III

Vortragende:

M.A. Laura Vordermayer (Saarbrücken): „Die Zeit ist überhaupt nicht mehr“. Träume in Ingeborg Bachmanns Roman Malina

Dr. Christian Quintes (Trier): „Der Garten war noch ganz so, wie er ehedem gewesen“. Zeit in den Traumdarstellungen Novalis', E.T.A. Hoffmanns und Eichendorffs.

M.A. Nicole Häffner (Saarbrücken): Paradoxe Zeitreisen innerhalb hypnotischer Traumvisionen im Roman La Eternidad de la Rosa

M.A. Raphael Morschett (Saarbrücken): Zeit und Traumerfahrung in Twin Peaks

Zeit und Umfang: Poetiken der Skalierung im mittelalterlichen Erzählen
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Zeit und Umfang: Poetiken der Skalierung im mittelalterlichen Erzählen

Die Länge eines Werkes ist in der literaturwissenschaftlichen Analyse eine wenig beachtete Größe, die sich auf den ersten Blick nur schwer interpretatorisch fassen lässt. Zugleich ist es oftmals gerade der Umfang, der den Zugang zu einem Text erleichtern oder behindern kann. Dies gilt für den Gesamtumfang eines Textes ebenso wie für die Umfänglichkeit der Handlung. Die oral-aurale Rezeptionskultur des Mittelalters stellt dabei eine besondere Herausforderung dar, gibt es doch eine Vielzahl von äußerst umfänglichen Texten, deren Handlung von Digressionen durchbrochenen und immer wieder angehalten wird. Aristoteles beschreibt den idealen Plot als einen solchen, der neben den Bedingungen der Einheit und Ganzheit sich der Anschauung nicht entzieht, der also weder zu groß noch zu klein sein sollte. Damit eng verbunden sind Fragen nach der Erzählzeit wie der erzählten Zeit: Wieviel Zeit wird auf eine Episode, auf einen Handlungsstrang, auf die gesamte Handlung verwendet? Welche Funktionen kommen dabei nur marginal oder gar nicht narrativen Passagen zu? Welche Aussagen lassen sich über mittelalterliches Erzählen und seine implizite Poetologie treffen, wo Texte doch immer wieder durch Exkurse, Beschreibungen, Ekphrasen und Aufzählungen unter- und aufgebrochen und dadurch in ihrem Erzählfluss angehalten werden?

In unserem Panel wollen wir ebendiese Phänomene der Skalierung in den Blick nehmen, die zu Länge und Kürze, aber auch zum Rhythmus einer Erzählung beitragen und damit die Rezeption entscheidend beeinflussen. Wir verorten unsere Diskussion im Kontext der aktuellen Debatten um „surface reading“ und „descriptive reading“, in denen Textformen und -formate zunächst in ihrer Konstitution beschrieben und im positiven Sinne als Oberflächenphänomene betrachtet werden. Hier, so unsere These, lassen sich möglicherweise neue Synergien mit den etablierten Erzählparametern der Zeit (Prolepsen und Analepsen; Wiederholungen; Retardation) erzeugen, die eine Annäherung an die Verschränkung von Handlung, Länge und Rezeption ermöglichen.

Vortragende:

Prof. Dr. Eva von Contzen (Anglistik; Freiburg)

Prof. Dr. Astrid Lembke (Germanistik; FU Berlin)

Prof. Dr. Markus Stock (German Studies; Toronto)

D. Tophinke, M.-L. Merten J. C. Meister, J.Horstmann, M. Petris, M. Flüh D. Merlin, U. Reichelt S. Patoussis, D. Stutz A. Lembke, E. von Contzen
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Sprachgeschichte als Diskursgeschichte(n) TEIL I
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Sprachgeschichte als Diskursgeschichte(n) TEIL I

Vortragende:

Martin Wengeler (Trier): "Kontroverse Diskurse in der Bundesrepublik Deutschland seit 1990. Ein Überblick."

Kristin Kuck (Düsseldorf): "Die gewachsene Verantwortung Deutschlands und die Sicherheit Europas. Außen- und militärpolitische Diskurse seit 1990"

Natalia Filatkina (Trier): "Zwischen dem europäischen Gedanken und der Euro-Krise. Der EU-Diskurs in Deutschland seit den 1990er Jahren"

Jörg Kilian (Kiel): "Wissen und Können im Land der Dichter und Denker nach Bologna und Pisa – Bildungspolitische Diskurse"

Spiel aus Zeit. Facetten der Zeit im Videospiel
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Spiel aus Zeit. Facetten der Zeit im Videospiel

Vortragende:

Einführung

Dr. Stefan Höltgen (Berlin): Symbolische Zeitachsen. Computerspiele als Narrative zwischen unendlicher Performanz und endloser Operativität

Jörg Reisig (Berlin): Time as a game mechanic versus playing with your time

Dr. Tobias Unterhuber (München): Inszenierung von Coming of Age als mediale Heterochronie in Life Is Strange

Momente impliziter Zeitlichkeit in vormoderner Literatur
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Momente impliziter Zeitlichkeit in vormoderner Literatur

Das Panel richtet den Blick auf differente Konzepte impliziter Zeitlichkeit, die sich in mittelalterlichen Texten überlagern, bzw. Zeitlosigkeit einzelner Figuren und (Text-)Momente. Diametrale Konzepte von Zeit innerhalb eines Textes sind im mittelalterlichen fiktionalen Roman häufig anzutreffen, da gattungsspezifische Konstituenten von Zeit bspw. nicht für alle der Diegese zugehörige Figuren gleichermaßen Geltung beanspruchen. Der im Panel anvisierte Fokus auf die die Diegese organisierenden Konzepte von Zeit und auf mythische Zeitmuster möchte bislang oftmals separiert betrachtete Aspekte von erzählter Zeit und mythischen Zeitstrukturen vereinen.

Ausgehend von der Figurenebene soll eine an die verschiedenen epischen Gattungen gebundene Zeitlichkeit näher bestimmt werden. Denkbar sind hierbei Konstellationen wie Figuren, die unterschiedlichen Zeitkonzepten unterstehen, oder an einzelne Texte, Storyworlds oder Gattungen gebundene Zeitauffassungen, die sich in Figurenentwürfen mischen. Diesbezüglich gilt danach zu fragen, welche Figuren altern und welche nicht, ob bzw. welche Auswirkungen ungleiche figurengebundene Zeitausprägungen auf das erzählte Geschehen haben und ob diese spezifisch funktionalisiert werden. Bedingen sich also zeitliche Figurenkonzeption und Zeitlichkeit der Texte gegenseitig oder folgt das eine aus dem anderen? Funktionieren die jeweiligen Gattungen nur mit ihrer jeweiligen figürlichen Zeitkonzeption oder gibt es weitere Spielräume?

Vortragende:

Carolin Struwe-Rohr (München): „Zeit, die gegen den Helden läuft – zu Momenten impliziter Zeitlichkeit und ihrer Funktion im ‚Iwein‘ Hartmanns von Aue“

Maximilian Wick (München): „Amor omnia vincit? Vom Sieg der Stetigkeit in Konrad Flecks ‚Flore und Blanscheflur‘“

Nina Scheibel (Düsseldorf): „Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Finalität und Kausalität in Heinrich Steinhöwels ‚Apollonius‘“

Tim Kopetzki (Bochum): „‚In den selben zîten‘? Zur Paradoxie von Zeit und Alter im ‚Nibelungenlied‘“

Anna Chalupa-Albrecht (München): „Kronenzeit – der ‚Walberan‘, das Krakauer Kronenkreuz und der Chronotopos“

Zeit der Moderne – moderne Zeit TEIL I
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Zeit der Moderne – moderne Zeit TEIL I

Die Vorträge dieses Panels adressieren den Umgang mit Zeit und Zeitlichkeit in der Moderne im weiteren Sinne, d.h. von der Gründerzeit mit ihrer Technisierung bis in die Zeit der historischen Avantgarden. Sie nehmen dabei ein breites Spektrum von Texten und Themen in den Blick: Es erstreckt sich von der Frage nach der Rolle moderner Technik und Logistik in Fontanes Romanen über die Rolle der Zeit in Konzeption und Komposition von Nietzsches zwischen Philosophie und Dichtung oszillierendem Zarathustra bis hin zur Rezeption der historischen Tiefenzeit Darwins. Die Vorträge werden Zeitlichkeiten und Zeitstrukturen verschiedener Schreibprojekte analysieren, bei Hugo von Hofmannsthals Turm, in Walter Benjamins Tagebüchern und, anhand der Verschaltung von Vergangenheit und Zukunft, bei verschiedenen Akteuren der Avantgarden.

Vortragende:

Isabell Oberle M.A. (Freiburg): 'Formen und Funktionen des Wartens in Hofmannsthals Tragödie Der Turm (1923/25/27)

Dominik Pensel M.A. (München): '„Und nun setzte sich der Zug in Bewegung…“: Das Eisenbahnparadigma in Fontanes Cécile

Janina Meissner (Gent): 'Walter Benjamins Tagebücher'

Sebastian Speth (Mannheim): 'Permanente Zukunft. Zur zeitlichen Interferenz im sozialistischen Festspiel um 1890

Elisabeth Flucher M.A. (Osnabrück): 'Von der philosophischen zur poetischen Zeit – die Überwindung der tragischen Zeitauffasung in Nietzsches Also sprach Zarathustra

Narrative Repräsentationen komplexer Zeitformen in mittelalterlicher Literatur
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Narrative Repräsentationen komplexer Zeitformen in mittelalterlicher Literatur

In diesem Panel werden gattungsspezifische Erzähllogiken einerseits in mittelalterlichen Chroniken sowie andererseits in der Versnovellistik in den Blick genommen. Beiden Gattungen ist eine spezifische Subjektivierungstendenz gemein, welche sich an den jeweiligen Formen und Verfahren der narrativen Verknüpfung historischer Fakten sowie an den Inszenierungen didaktischer Intentionen beobachten lässt. Exemplarisch für die Gattung der Chroniken wird anhand des ›Scotichronicon‹ des schottischen Historikers Walter Bower nach den Funktionen anachronistischen Erzählens gefragt; für die Auseinandersetzung mit versnovellistischem Erzählen wird hingegen die Relation zwischen zeitlichen, körperlichen sowie räumlichen Fixierungen und Dynamiken untersucht. So wird am Beispiel des ordo artificialis im ›Scotichronicon‹ sowie an der Darstellung von Zeitlichkeit und Subjektivität in der Versnovellistik das Spiel mit konstruierten Identitäts- und Ordnungsmodellen lesbar und im Panel diskutiert.

Vortragende:

Dr. Davina Hachgenei (Mainz): Die Abstammung der englischen Könige vom Teufel. Formen und Funktionen anachronistischen Erzählens in Chroniken

M.A. Marie-Louise Musiol: Zeit und Zeiterfahrung. Subjektivierungstendenzen versnovellistischen Erzählens.

N.N.

M. Wengeler N. Gelker, M. Henning H.-M. Häger, K. auf der Lake M.-G. Dehrmann N. Fahr

Themenbereich 3: Zeit als historische Kategorie

W ✐ P ✐ P
Mittelalter – Romantik – Mittelalterromantik? Ein diachroner Blick auf das Mittelalter als ,Epoche‘ TEIL I
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Mittelalter – Romantik – Mittelalterromantik? Ein diachroner Blick auf das Mittelalter als ,Epoche‘ TEIL I

Vortragende:

Prof. Dr. Nine Miedema (Saarbrücken)

Markus Kremer M.A. (Bielefeld)

Die Novelle – eine zeitgemäße Gattung. Fachwissenschaftliche und fachdidaktische Perspektiven auf die deutschsprachige Novellistik des 21. Jahrhunderts TEIL I
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Die Novelle – eine zeitgemäße Gattung. Fachwissenschaftliche und fachdidaktische Perspektiven auf die deutschsprachige Novellistik des 21. Jahrhunderts TEIL I

Auch literarische Gattungen haben ihre Zeit. Mit der deutschsprachigen Novelle wird in der Regel das 19. Jahrhundert assoziiert, aber damit gerät völlig aus dem Blick, dass diese Gattung seit längerem eine Renaissance erlebt. Spätestens seit Martin Walsers „Ein fliehendes Pferd“ (1978) erweisen sich Novellentexte wieder als spannend und verkaufsträchtig, wie zuletzt das Beispiel von Bodo Kirchhoffs „Widerfahrnis“ (2016) belegt. Festzustellen ist dabei insbesondere ein geschärftes Gattungsverständnis der Autorinnen und Autoren: Wer seinen Text heute ‚Novelle‘ nennt, verwendet keine austauschbare Gattungsbezeichnung, sondern nimmt – das ist eine zentrale Ausgangsthese unseres Panels – explizit und bewusst Bezug auf eine reichhaltige und oft als bekannt vorausgesetzte Geschichte des novellistischen Erzählens und seiner spezifischen Elemente.

Vor diesem Hintergrund fragen wir nach der Aktualität der Gattung, den Gründen für ihre Renaissance, der intertextuellen Vernetzung mit der Tradition und insbesondere nach den ästhetischen Techniken, über die die Gattungsqualität neuer Novellen literarisch kommuniziert wird. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei auch intermedialen Bezügen, vor allem zwischen Novelle und Film: Viele Novellen wurden in den letzten Jahren verfilmt, wie z.B. Dirk Kurbjuweits „Zweier ohne“; gelegentlich lief die Inspirationsrichtung auch umgekehrt, wie in Ulrich Tukurs Novelle „Die Spieluhr“, die einen Film fortschreibt.

Im schulischen Lektürekanon ist die traditionell als ‚Erzählung mittlerer Länge‘ definierte Novelle fest etabliert. Die aktuelle fachdidaktische Diskussion widmet der Gegenwartsliteratur eine verstärkte Aufmerksamkeit, so dass sich die Frage stellt, welche Novellen des 21. Jahrhunderts sich für den schulischen Kompetenzerwerb eignen.

Das Panel verbindet literaturwissenschaftliche und literaturdidaktische Perspektiven in überwiegend einzeltextbezogenen Beiträgen. Interpretiert werden Novellentexte aus den letzten zwei Jahrzehnten – manche dürfen bereits jetzt als kanonisiert gelten, wie die zahlreichen Gattungsbeiträge Hartmut Langes oder die vielgelesene „Schweigeminute“ von Siegfried Lenz, andere sind für ein breiteres Publikum noch zu entdecken, wie der existentiell erschütternde Text „Auflaufend Wasser“ des Autorenduos Astrid Dehe und Achim Engstler.

Vortragende:

Dr. Peter Bekes (Duisburg-Essen):  "Zeitgenössische Novellen (seit 2000) im Unterricht: Didaktisch-methodische Perspektiven."

PD Dr. Rolf Füllmann (Köln): "Die Meernovelle „Auflaufend Wasser“ von Astrid Dehe und Achim Engstler: Eine ‚sich ereignete unerhörte Begebenheit‘ im Unterricht"

Prof. Dr. Albert Meier (Kiel): "Eine Welt hinter der Leinwand. Ulrich Tukurs „Die Spieluhr“ als Novelle zweiten Grades" 

Prof. Dr. Claudia Albes (Lüneburg): "Hartmut Langes Novelle „Die Bildungsreise“: Parodistische Verabschiedung oder Renaissance einer Gattung?"

Marc J. Schweissinger, PhD (Cardiff): "Siegfried Lenz’ „Schweigeminute“ im Kontext historischer Novellentheorien"

(Über-)Zeitlichkeit des Wissens. Gelehrtenrepubliken und Wissenszirkulation
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(Über-)Zeitlichkeit des Wissens. Gelehrtenrepubliken und Wissenszirkulation

Immer schneller, immer mehr, wir alle kennen es. Unser tägliches Geschäft im heutigen Wissenschaftsbetrieb ist es Wissen zu produzieren. Das Panel intendiert, die Bedeutung von Zeit für die Produktion und Zirkulation von Wissen in vormodernen wie modernen Gelehrtenkreisen zu untersuchen.

Die als Utopie gedachte Idee einer außerhalb der Ständegesellschaft organisierten Gemeinschaft, die auf Uniformität der Teilnehmer beruht, wird mit Friedrich Gottlieb Klopstocks Die deutsche Gelehrtenrepublik (1774) programmatisch. Klopstocks Schrift markiert bereits das Ende der klassischen Zeit der Res Publica literaria, die sich am ausgehenden 18. Jahrhundert aufzulösen beginnt. Was im 17. Jahrhundert als Idee einer Vernetzung von Gelehrten gedacht war, lebt auch in den nachfolgenden Jahrhunderten als Konzept fort und organisiert sich im Sinne von Dichter-, Künstler- und Intellektuellenvereinigungen. Die Entwicklung neuer Kommunikationsformen stellt dabei ein wesentliches Moment für den Austausch und die Überlieferung von Wissen innerhalb dieser Gemeinschaften dar. Die damit verbundene Beschleunigung des Wissenstransfers ermöglicht nicht nur eine Wissensproduktion im Zeichen von Innovation und Aktualität, sondern Ideale der überzeitlichen Speicherung von Wissensbeständen, die durch Tradierung und Zirkulation erhalten werden können. Das Panel macht es sich zur Aufgabe, verschiedene Formen der Wissenszirkulation zwischen Zeitlichkeit und Überzeitlichkeit zu diskutieren und schließt damit an den Themenbereich „Zeit als historische Kategorie” an. Mit dem Fokus auf Gelehrtenkreise vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart soll gezeigt werden, wie Wissen innerhalb intellektueller Gruppen changierte. Ziel ist es, Wissenstransfers im Wandel der Zeit darzustellen. Gefragt werden soll, wie sich Wissen vom 18. Jahrhundert bis heute verbreitet, wie die relevanten Protagonisten sich definieren und wie sich die Republik der Gelehrten in verschiedenen historischen Epochen konstituiert.

HELENE KRAUS (Bielefeld) plausibilisiert, wie um 1800 anonym publizierte Texte einem (möglichen) Verfasser zugeordnet werden und wie Verfassernamen innerhalb von Gelehrtenrepubliken zirkulierten. Durch die Aufhebung anonymer Autorschaft werden Urheber und Artefakt untrennbar miteinander verbunden – das Wissen um den Verfassernamen überzeitlich.

LUCAS KNIERZINGER (Basel) widmet sich der Frage der politischen Dimension des Konzepts der Gelehrtenrepublik und dessen Wandelbarkeit im historischen Kontext der Moderne. Ausgehend von Arno Schmidts „Die Gelehrtenrepublik" (1957) wird die Frage nach der Situierung des Gelehrten im Spannungsfeld von politischer Verantwortung und apolitischer Zurückgezogenheit, zwischen Zeitgebundenheit und Überzeitlichkeit gestellt.

THOMAS SCHOLZ (St. Louis) zeigt am Beispiel der Rezeption des Werks des Schriftstellers Michael Ende, dass die Zyklen von Exklusion und Inklusion in die New Republic of Letters und in deren Diskurse sich in historisch immer kürzeren Zyklen vollzieht.

Programm:

Begrüßung

Helene Kraus: Wissen Sie nicht, von wem die Rec[ension] ist? Anonymität und gelehrte Streitkultur im späten 18. Jahrhundert

Lucas Knierzinger: Die Köpfe aller Figuren sind abnehmbar. Übertragung und Untergrabung in Arno Schmidts Gelehrtenrepublik

Felix Hempe: Die Wiederkehr der Gelehrtenfigur als Bild- und Textgelehrter

Beatrice Occhini: Der Adelbert-von-Chamisso-Preis zwischen Tradition und Innovation

Thomas Scholz: Aber das ist eine andere [Rezeptions-]Geschichte: Michael Ende, die Gelehrtenrepublik und das Exil

Diskussion

N. Miedema, M. Kremer S. Kiefer, T. Mergen H. Kraus

Themenbereich 4: Zeit als Motiv

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Die Zeit wird knapp. Zur Ressourcenlogik des ökologischen Erzählens TEIL I
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Die Zeit wird knapp. Zur Ressourcenlogik des ökologischen Erzählens TEIL I

In Zeiten ökologischer Krisen wird Zeit selbst zu einer umkämpften Ressource. Nicht nur Entscheidungsprozesse, auch narrative Zugriffe auf Natur hängen davon ab, wie viel Zeit „zur Verfügung“ steht. Die Beziehung von Zeit und Erzählung gewinnt im Falle fiktionaler wie nicht fiktionaler ökologischer Narrative, d.h. solcher, die einen besonderen Schwerpunkt auf das Verhältnis von Mensch und Umwelt legen, besondere Relevanz, weil sie die moderne Logik von Ressourcenbesitz und -verbrauch nicht nur offenlegt, sondern auch entscheidend prägt. Dauerhaftigkeit, Beschleunigung und Verlangsamung sind im ökologischen Erzählen sowohl Verfahren (z.B. Langsamkeit von Naturbetrachtung, Schnelligkeit von akuten Kata-strophenszenarien), als auch Motiv und Thema. So gewinnt beispielsweise die Behauptung der ‚Natürlichkeit‘, z.B. vorindustrialisierter Landwirtschaft oder indigener Jäger- und Samm-lergesellschaften, ihre moralische Schlagkraft erst aus der imaginierten Dauerhaftigkeit ihrer Existenz. Zeit wird hier benutzt, um qua ‚Haltbarkeit‘ eines bestimmten Verhaltens dessen Richtigkeit zu bekräftigen. Im Kontrast dazu erscheint die Gegenwart von Zeitarmut geprägt – Zeit wird knapp oder geht gar aus, so dass Entfremdung (von Natur) zu einem Zeitproblem in jeder Hinsicht wird. Ob es um die Chance geht, die globale Erwärmung auf wenige Grad Cel-sius zu begrenzen, Verluste an Biodiversität auf ein Minimum zu reduzieren oder den Erhalt von Ökosystemen zu gewährleisten, Zeit bestimmt als rhetorische, narrative und materiell wirksame Ressource Handlungs- und Darstellungsoptionen und wird damit nicht zuletzt zu einem wirksamen Instrument der Erzeugung und Lenkung von Emotionen.

Vortragende:

Dr. Alexandra Böhm ( Erlangen-Nürnberg): Natur-Begegnungen im Anthropozän: Narrative Konzeptionen von ‚Natur‘ und Zeit in Ilija Trojanows EisTau

Dr. Stephanie Heimgartner (Ruhr-Universität Bochum): Outsourcing. Der Gebrauch knapper Reproduktionsmittel in neueren Erzähltexten

Dr. Claudia Schmitt (Universität des Saarlandes): Aus der Zeit gefallen – Naturräume als Rückzugsorte des Individuums in der Krise am Beispiel von Valerie Fritschs 'Winters Garten' (2015), Doris Knechts 'Wald' (2015) und Saskia Hennig von Langes 'Hier beginnt der Wald' (2018).“

Das 20. Jahrhundert in Generationserzählungen TEIL I
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Das 20. Jahrhundert in Generationserzählungen TEIL I

Mit dem Ende der von Reinhart Koselleck definierten „historischen Zeit“, bei der der Gedanke des geschichtlichen Fortschritts leitend war (Vgl. Reinhart Koselleck: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a.M. 1988.), scheint das lineare Erzählen von Generationserzählungen ebenfalls an ein Ende gekommen zu sein. Die emphatische Zukunftsversessenheit ist seit 1989 einer verstärkten Selbstreflexion im Hier und Jetzt gewichen. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts, seine Hinterlassenschaften und nachwirkenden Traumata nehmen zeitgenössische Generationserzählungen zum Anlass einer Revision und Umschrift. Die verstärkte Präsenz des Vergangenen kann dabei mit Hans Ulrich Gumbrecht als Teil einer Überflutung durch die Vergangenheit und ein Verharren in einer „breiten Gegenwart“ verstanden werden, andererseits aber auch mit Aleida Assmann als ein „Stück zurückgewonnener Normalisierung“ nach dem zukunftsfixierten Zeitregime der Moderne (Aleida Assmann: Ist die Zeit aus den Fugen? Aufstieg und Fall des Zeitregimes der Moderne, München 2013, S. 280.). Im Spannungsfeld von Fortschritt und einschlägiger Kritik fokussiert das Panel auf das letzte Jahrhundert als Topos neuerer Generationserzählungen, wobei gegenüber den literarischen Biographien der zweiten Generation (U. Timm, U. Scheub, W. Bruhns, U. Hahn, A. Weber), die sich ausschließlich auf den Nationalsozialismus und die Folgen beziehen, in der dritten Generation eine thematische Aufspaltung in Erzählungen aus ganz Europa und die Verarbeitung neuer Traumata zu beobachten ist (N. Haratischwili, S. Bazyar, A. Geiger). Nicht zuletzt macht sich ein imaginativer Zugriff bemerkbar, bei dem vergessene, verschwiegene oder verlorene Dinge oder Geschehnisse aufgegriffen werden. Indem vom 20. Jahrhundert rückblickend das Ausgelassene mit erzählt wird, erweitern die Generationserzählungen das Geschichtswissen um eine poetische Version der möglichen Vergangenheit.

Das Panel nimmt Einblick in diesen Problemkomplex und erkundet die Folgen für die Konstruktion der Gegenwart.

Vortragende:

PD Dr. Anna-Katharina Gisbertz (Uni Mannheim): Einführung

Dr. Dr. phil. Habil. Gudrun Heidemann (Lodz): Fehlzeiten des 20. Jahrhunderts in aktuellen Imaginationsnarrativen

Felix Lempp M.A. (Hamburg): „Teppiche sind aus Geschichten gewoben“. Strategien der Zeitbewältigung in Nino Haratischwilis Roman Das achte Leben. Für Brilka und seiner Inszenierung am Thalia Theater Hamburg durch Jette Steckel

S. Nitzke A.-K. Gisbertz


14:00–16:00

P = Panel; W = Workshop; ✐ = thematischer Schulbezug

Themenbereich 1: Theorien und Konzepte von Zeit

P P ✐ P P
Zeit und Zeitkonzeptionen in seriellen Werken
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Zeit und Zeitkonzeptionen in seriellen Werken

In der Gegenwart ist eine Ubiquität der Serie und des seriellen Erzählens zu konstatieren, vor allem im Format der Fernsehserie, welche sich jedoch Formen und Verfahren bedient, die historisch schon seit geraumer Zeit in der seriellen Literatur vorhanden sind. In Bezug auf das Thema Zeit liefern serielle Werke aufgrund ihrer genuinen Struktur Perspektiven, die durch nicht-serielle Werke nur schwer hergestellt werden, denn serielles Erzählen ist in zwei Hauptformen zu differenzieren: das episodisch-zyklische und das konsekutiv-lineare Erzählen, die sich beide durch eine jeweils spezifische Zeitlichkeit und Dramaturgie bei der Herstellung eines Fortsetzungszusammenhangs voneinander unterscheiden. Während beim episodisch-zyklischem Erzählen einzelne separate Geschichten vorliegen, die durch eine Rahmung oder ein übergeordnetes Thema zusammengehalten werden beziehungsweise die stets an einem Urzustand beginnen, wird die Geschichte beim konsekutiv-linearen Erzählen zwar in Teile separiert, die aber inhaltlich miteinander verbunden bleiben.

Vortragende:

Prof. Dr. Frieder von Ammon (Leipzig):Zu dieser unserer Zeit. Serie und Zeit bei Grimmelshausen

Michael Watzka (New York): Zwischen Tagebuch und Zeitung - Serialität und tägliche Berichterstattung in den Journalen von Peter Handke, Sarah Kirsch und Jürgen Becker

Joachim Kern (Leipzig): Alterlose Helden in einer voranschreitenden Welt. Zu Zeitverhältnissen in Comicserien.

Der Weg der Kunst. Über die Zeitlichkeit literarischen Lernens
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Der Weg der Kunst. Über die Zeitlichkeit literarischen Lernens

Der verschlungene Weg, der Weg, auf dem der Fuß die Steine spürt, der zum Ausgangspunkt zurückführende Weg, – das ist der Weg der Kunst. (Šklovskij, Viktor, „Der Zusammenhang zwischen den Verfahren der Sujetfügung und den allgemeinen Stilverfahren“. In: Jurij Striedter (Hrsg.): Russischer Formalismus. Band I: Texte zur allgemeinen Literaturtheorie und zur Theorie der Prosa. München: Fink 1969. S. 37.)

Liest man die Äußerung des Russischen Formalisten Viktor Šklovskij als Urteil nicht nur über den „Weg der Kunst“, sondern auch über den Weg der Rezeption von Kunst und Literatur, muss sie fraglos als Provokation für eine rein kompetenzorientiert ausgerichtete Literaturdidaktik gelten. Die Auffassung, dass die Wege literarischen Lernens steinig und verschlungen seien, mag mit dem Kompetenzparadigma noch vereinbar sein – auch wenn manche Lernarrangements einen ebenso bequemen wie direkten Zugang zur ästhetischen Lektüre versprechen. Dass aber Lernwege ihren Zweck in sich selbst finden und sogar zu ihrem Ausgangspunkt zurückführen können, stellt eine primär an Output, Problemlösung und messbarer Kompetenzsteigerung orientierte Didaktik in Frage.

Demgegenüber widmen sich die Referentinnen und Referenten des vorgeschlagenen Panels in unterschiedlichen Zugriffen dem Anliegen, Šklovskijs Postulat zu untermauern, zu exemplifizieren und in Hinblick auf literaturbezogene Lernprozesse fruchtbar zu machen. Herausgestellt werden soll so die Grundthese, dass gerade in einem von Fortschritt, Wachstum, Beschleunigung und Effizienz bestimmten schulischen Umfeld das ästhetisch-literarische Lernen eine unerlässliche Gegenposition bezieht – indem es eine Verlangsamung und Intensivierung der Wahrnehmung fördert und indem es den Versprechungen vom schnellen, direkten Weg zum Ziel wichtige Erfahrungen des Suchens, Innehaltens und des bereicherten Wieder-Zurückkehrens entgegenstellt.

Vortragende:

Prof. Dr. Carlo Brune (Ludwigsburg): Prozess und Ergebnis. Über die Zeitlichkeit literarischen Lernens.

Ina Henke (Münster): „Schon oft war ich die Allee durchwandelt, als mir eines Tages plötzlich ein Haus ins Auge fiel.“ (Literar-)Ästhetische Bildung im Spannungsfeld von Verweilen und Plötzlichkeit

Univ.-Prof. Dr. Johannes Odendahl (Innsbruck): „Euer Fortschritt tötet die Kunst!“ Literarisches Lernen zwischen Kompetenzaufbau und freiwilliger Regression

Prof. Dr. Sigrid Thielking (Hannover): Stille Muße Mühe. Zeit und Genuss der Literatur.

Zeitlose Zeitdeutungen? Schicksal und Kontingenzabwehr in der Gegenwartsliteratur TEIL II
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Zeitlose Zeitdeutungen? Schicksal und Kontingenzabwehr in der Gegenwartsliteratur TEIL II

Wie denkt Literatur über gelebte Zeit nach? Wie wird Erlebtes gedeutet und eingeordnet? Menschen versichern und definieren sich hauptsächlich über das Erzählen ihrer Lebensgeschichte und konstruieren ›narrative Identitäten‹. Dabei generiert das Erzählen allein durch seine Linearität und Abgeschlossenheit schon eine potenziell sinngebende Struktur im Sinne einer ›Geschichte‹, die sich notwendig in eine bestimmte Richtung entwickelt. Darüber hinaus kommen jedoch auch häufig aktive Sinngebungsbemühungen im Sinne von Deutungen gelebter (und erzählter) Zeit durch die Art und Weise wie erzählt wird, zum Einsatz. Eine zentrale Kategorie der Zeitdeutung in der europäischen Geistesgeschichte ist das Konzept des Schicksals ‒ der Gedanke, dass in der erlebten Geschichte etwas eintritt, was genau so sein muss. Dass etwas nicht anders sein kann, dient vor allem der Abwehr der Bedrohung durch Kontingenz und Willkür und legitimiert so auch in ästhetischer Hinsicht den Entwurf von fiktionalen Handlungen. Der fiktionale Entwurf bindet sich also an ein Konzept zurück, das explizit mit einem vorangelegten Deutungsangebot von Lebenszeit ausgestattet ist bzw. legt gegen diese Prämisse Einspruch ein.

Im Vergleich mit der Literatur des 18. Jahrhunderts, in der ›Schicksal‹ als Sinngebungskategorie die bis dato dominierende Kategorie der Providenz ablöste, und unter der historischen Hypothek der Shoah scheint die Gegenwartsliteratur nicht unbedingt auf den Begriff des Schicksals eingeschworen zu sein. Sie kennt jedoch in großem Umfang Variationen des Schicksalhaften. Obwohl Schicksal als Begriff und Kategorie ausgedient hat, macht Schicksalhaftigkeit so eine zweite Karriere als Form- und Strukturprinzip. Genau dieser Zweitkarriere wollen wir nachgehen. Es ist z.B. danach zu fragen, wie Prinzipien des Schicksals und der Notwendigkeit in der Gegenwartsliteratur fortwirken bzw. gerade in ihrem Bruch zur Erscheinung kommen. Wird Schicksal gerade in der Betonung einer radikalen Kontingenz doch noch mit gedacht? Inwiefern findet vielleicht auch eine Renaissance des Schicksals statt, die eine Art paradoxe Vergangenheitsbewältigung darstellt? Gibt es gar eine neue Bewegung zurück zum Schicksal? Wie wäre eine solche Bewegung politisch einzuordnen? Ist das Schicksal in der Gegenwartsliteratur als ein latentes oder als ein manifestes Phänomen zu bewerten?

Vortragende:

Dr. Juliane Blank (Saarbrücken): "Zeitdeutung nach der Zäsur. Kontingenzproblematik und Schicksalsfragen in der deutschsprachigen (Post-)9/11-Literatur"

Kathrin Kazmaier (Hildesheim): "Die Geburt des Schicksals aus dem Geiste der literarischen Form. Märchenfluch und Weltkonstruktion in Martina Clavadetschers Knochenlieder"

Dr. Eva-Maria Konrad (Frankfurt/Main): "Zwischen Kontingenz und Schicksal: Literarische Uchronien"

Jasmin Pfeiffer (Saarbrücken): "'Irgendein Zufallsschicksal'. Kontingenz, Freiheit und auktoriale Vorherbestimmung bei Daniel Kehlmann"

Dr. Daniel Kazmaier (Saarbrücken): "Das Schicksal aus den Akten. Zur Deutung des eigenen Lebens anhand von Dokumenten in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur"

Loreen Dalski (Mainz): "Schöner Scheitern. Affirmativ fatalistische Lebensentwürfe in der Gegenwartsprosa"

Roxanne Phillips, M.A. (München): "'Wer hat das so arrangiert?' Unwahrscheinliche Zufälle, Schicksalsgöttinnen und erzählerische Interventionen in Moras Alle Tage"

PD Dr. Anja Gerigk (München): "Unsterblichkeit. Gegenfigur zum medienkulturellen Zeitgeist"

Jenseits-Zeit & Geistes Reich. Temporalität im Okkultismus
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Jenseits-Zeit & Geistes Reich. Temporalität im Okkultismus

Literatur und Okkultismus besitzen eine große Affinität füreinander. Beide Systeme arbeiten auf ihre Weise an einer Verzauberung der Welten, setzen das Geheimnis wieder in sein Recht und artikulieren ein besonderes Verhältnis zur Zeitlichkeit.

Gerade durch die Geisterseherei und die Herstellung von Jenseitskontakten in literarischen und jenseits von literarischen Texten soll eine Überschreitung und Nivellierung der zeitlichen Grenzen zwischen Diesseits und Jenseits, aber auch durch Anrufung der Verstorbenen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft stattfinden.

Demonstriert wird diese Verschränkung von Jenseitszeit, Geisterreich und dem Begehren der Lebenden unter Analyse der temporalen Ebenen an Beispielen aus dem Schauerroman bis hin zu Ekstatikerinnen, Okkultisten und den ersten Séance-Sitzungen. Das Besondere am Okkultismus ist daher die Tatsache einer ihm speziellen Zeit und der Umstand, die den Menschen gewohnte Zeit auszuhebeln und zu transzendieren.

Aufbau:

Kay Wolfinger (Ludwig-Maximilians-Universität München): Das okkulte Medium und die Aufhebung der Zeit. Zur Einführung in die Thematik

Geist und Spiritismus

Anne Lorenz (Digitale Akademie, Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz): Avantgarde und Geistesgegenwart. Spiritistische Elemente im Künstlerkreis Der Sturm

Korbinian Lindel (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg): Transzendentalphotographie 1900 / 2000. Dokumentationen der Geisterwelt in den Materialisationsphänomenen von Albert von Schrenck-Notzing und M. Night Shyamalans The Sixth Sense

Medialitäten

Vera Kaulbarsch (Ludwig-Maximilians-Universität München): „Einmal hatte ich in dieser Zeit das Erlebnis, tot zu sein.“ Jenseitige Zeitlichkeiten bei Carl Zuckmayer und Thomas Mann

Libor Marek (Univerzita Tomáše Bati ve Zlíně): Susanna Schmida-Wöllersdorfer: Eine vergessene Wiener Esoterikerin

Peilin Li (Westfälische Wilhelms-Universität Münster): Totenreich als Idylle des Heute. Die Zeitcollage in Monika Marons Zwischenspiel (2014)

R. Krause C. Brune, I. Henke, J. Odendahl, S. Thielking J. Blank, D. Kazmaier K. Wolfinger, V. Kaulbarsch

Themenbereich 2: Repräsentationen von Zeit

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Die Bedeutung der Zeit im Literaturunterricht
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Die Bedeutung der Zeit im Literaturunterricht

Vortragende:

Dr. Monika Fellenberg (Stuttgart)

Nadine Küster (Stuttgart)

Zeit und Zukunft. Reflexionen des Kommenden in der Literatur des „langen 19. Jahrhunderts“
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Zeit und Zukunft. Reflexionen des Kommenden in der Literatur des „langen 19. Jahrhunderts“

Reinhart Koselleck hat für die Zeit um 1800 eine große Wende bei der Konzeptionalisierung von Zeitdimensionen konstatiert. Zirkuläre Zeitvorstellungen würden abgelöst von Veränderung und Fortschritt – und von einer individuell spezifischen Wahrnehmung von Zeit und Geschichte. Zu dieser Differenzierung der Zeitdimensionen gehört auch eine veränderte Wahrnehmung der Zukunft. In der Literatur des „langen 19. Jahrhunderts“ (Hobsbawm), besonders in narrativen Texten des deutschsprachigen Realismus, scheint eine Affinität zur Vergangenheit vorzuherrschen, oftmals im Modus der Verklärung bestimmter Lebensentwürfe. Aber gerade in modernisierungskritischen Konstellationen wird auch über das Kommende nachgedacht, werden Zukunftsprognosen formuliert oder Zukunftsszenarien entworfen. Im Reflexionsmodus der Negation des Kommenden wird Zukunft gedacht in Konturen, die sich in der Gegenwart abzeichnen. Wie sehen die Möglichkeiten und Formationen aus, in denen ein solches Wissen über die Zukunft literarisch generiert wird? Gibt es spezifische Formationen eines literarischen Wissens um die Zukunft, eine Art Zukunftsästhetik? Im Panel möchten wir prüfen, ob die intensive Beschäftigung mit der Vergangenheit, die viele Autorinnen und Autoren des 19. Jahrhunderts auszeichnet, in diesem Sinn als eine durchaus ernstzunehmende ›Arbeit an der Zukunft‹ verstanden werden kann.

Vortragende:

Dr. Florian Kappeler (Göttingen) : Die Figuration des schwarzen Spartacus. Revolution und Prophetie in Theodor Mügges historischem Roman „Toussaint“ (1840)

PD Dr. Claudia Lieb (Münster): Romantische Utopien: das Jahr 1914, das 21. Jahrhundert, das 23. Jahrhundert

Dr. Yashar Mohagheghi (Aachen): ‚Der kommende Gott‘ und die Verzeitlichung im 18. Jahrhundert: Hölderlins Arbeit an der Zukunft

PD Dr. Urte Stobbe (Vechta/Oldenburg): Fontanes „Stechlin“ als Roman über die Zukunft und Zukunftsfähigkeit des Adels

Die Rückkehr. Transmediale Analyse eines exponierten Moments der Figurendramaturgie TEIL II
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Die Rückkehr. Transmediale Analyse eines exponierten Moments der Figurendramaturgie TEIL II

Wenn die Figuren eines literarischen Textes, eines Films oder einer Fernsehserie einen Ort zurückkehren, der mit vergangenen Ereignissen verbunden ist, die den sozialen und persönlichen Horizont dieser Figuren geprägt haben, und wenn der genannte Ort sich mittlerweile spürbar verändert hat; oder umgekehrt: wenn der Ort unberührt blieb, die Figuren sich aber inzwischen gewandelt haben; oder wenn nur eine von zwei Figuren zurückkehrt, die andere jedoch nicht – diese und ähnliche Situationen implizieren auf diskursiver wie rezeptionsästhetischer Ebene einen Kulminationspunkt des Zeitbewusstseins. Man könnte von einer signifikanten Markierung des „empathischen Feldes“ (Wulff 2002) sprechen: Die Progression der erzählten Geschichte wird durch eine meist mehrfach kodierte analeptische Verweisungsstruktur unterbrochen, die eine besondere Dichte an Reflexionsvorgängen und emotionalen Erschütterungen erzeugt. Zur Debatte stünde jedoch auch, inwiefern derartige Texturen z. B. durch Ellipsen oder Ironisierungen unterlaufen werden können.

Momente der Rückkehr unterliegen genrespezifischen Konventionen, wofür sich unzählige Beispiele finden lassen: Im Krimi begeben sich Mörder*innen erneut an Ort des Verbrechens; im Western treffen Weiße auf die von Indianern zerstörte Farm und – in der verspäteten Umkehrung der Klischees – Indianer auf das von Weißen niedergemetzelte Dorf; in (Anti-)Kriegsepen wird den Heimkehrenden nicht die erhoffte Liebe entgegengebracht; im Melodram wird bei einer gedanklichen Rück-Versetzung an einen Ausgangszustand bedauert, den vermeintlich falschen Weg eingeschlagen zu haben. Genreunabhängig lassen sich narrative Muster beobachten, die sich quer durch die Literatur- und Mediengeschichte ziehen: In Rahmenerzählungen kann eine Rückkehr, indem sie Erinnerungen auslöst, den Übergang zur „Metadiegese“ (Genette 1998) einleiten; einem Happy-End geht häufig eine Strategie der Distanzierung und entsprechend eine Wieder-Annäherung voraus; eine verlässliche Erzählstruktur bringt immer wieder dieselben Motive ins Spiel und verknüpft sie nach Art einer Perlenkette; desillusionistische Verfahren verweigern diesen Rückzug auf vertrautes Terrain, aber die damit einhergehende Irritation des Rezeptionsprozesses hat, wenn sie gut eingefädelt ist (d. h. doch auf Bekanntes rekurriert?), ihren eigenen Reiz.

In dem Panel soll das Fragenspektrum, das mit den erwähnten Aspekten korreliert, an konkreten Beispielen untersucht und erweitert werden. Dabei soll auch diskutiert werden, inwiefern der Rückkehr-Topos über ein hinreichendes „Resonanzpotential“ (Rosa 2016) verfügt, um – in Zeiten einer dramatisch schwindenden Lesebegeisterung – Kinder und Jugendliche dazu zu motivieren, sich auch außerhalb des Deutschunterrichts einer durch verschiedene Medien vermittelten Lektüre-Erfahrung auszusetzen.

2 Workshops (à 60 Minuten):

WORKSHOP 1: Displaced. (R)Emigranten als Figuren im Film nach 1945

Dr. Heike Klapdor (ehem. Deutsch-Fachbereichsleiterin in der Erwachsenenbildung; z. Zt. Stiftung Deutsche Kinemathek, Berlin)

WORKSHOP 2: Tarzan trifft Hölderlin. Didaktisch-methodische Annäherungen an Rückkehr-Gedichte

Ursula Reichelt (bis Februar 2018 Deutsch- und Geschichtslehrerin am Lilienthal-Gymnasium Berlin und Fachseminarleiterin für Deutsch in Berlin-Charlottenburg; Vorsitzende des Fachverbands Deutsch Berlin/Brandenburg) und Prof. Dr. Elisabeth Paefgen (FU Berlin)

Durchkreuzte Syntagmen. Zeitliche Verwerfungen in mittelalterlicher Literatur
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Durchkreuzte Syntagmen. Zeitliche Verwerfungen in mittelalterlicher Literatur

Gattungsmischungen und Kombinationen unterschiedlicher Erzählmodi und -formen innerhalb literarischer Texte werden in der aktuellen Forschung zumeist unter den Aspekten der Gattungshybridität oder generischen Interferenz analysiert (z.B. Schulz, Bleumer). Mit Blick auf den Aspekt der Zeit werfen Formen von heterogenen modalen und generischen Konstellationen auch die Frage auf, wie die unterschiedlichen zeitlichen Indizes der einzelnen Gattungen und Modi miteinander interferieren.

Das Panel widmet sich in historischer Perspektive unterschiedlichen Typen von Modus- und Gattungswechseln innerhalb literarischer Texte wie beispielsweise der Unterbrechung narrativer Großformen durch Sprichwörter, Kommentare oder Allegoresen oder der Inserierung lyrischer Passagen: Diese Typen von Kombination und Verkettung unterschiedlicher literarischer Modi und Gattungen unterbrechen den innerhalb des jeweiligen Syntagmas etablierten Zeitindex durch den Wechsel in einen anderen. Von besonderem Interesse sind diese durchkreuzten Syntagmen, wenn widersprüchliche Zeitkonzepte miteinander verkettet werden und derart z.B. mythische mit historischen oder lineare mit zyklischen Zeitformen spannungsvoll interferieren. Zu fragen ist zusätzlich unter einer paradigmatischen Perspektive, ob diese heterogenen Konstellationen lediglich einen temporären Wechsel der Zeitform herbeiführen oder ob ein solcher auch auf die Zeitgestaltung des gesamten literarischen Textes zurückwirkt und diese transformiert. Das Panel klassifiziert und diskutiert unter systematischen Gesichtspunkten generische und modale Heterogenität als ein Phänomen, das Zeit in literarischen Texten und Praktiken reflexiv machen kann und die Generierung von spezifischen Repräsentationsformen für komplexe Zeitlichkeiten ermöglicht.

Vortragende:

PD Dr. Cornelia Herberichs (Stuttgart): Arthurische Zeiten. Durchkreuzte Syntagmen in komparatistischer Perspektive

JProf. Dr. Sophie Marshall (Jena): Verdoppelte, verschluckte und mythische Zeit. Stimme und Modus im Beowulf

Dr. Stephanie Seidl (Stuttgart): Im Diesseits von Gattungsfragen. 'Lyrische' und 'epische' Zeitkonzepte der 'Tristanminne'

Dr. Justin Vollmann (Tübingen): Mythische Zeit und allegorische Zeitenthobenheit. Minnegrotte und Brackenseil

Thalia Vollstedt M.A. (Tübingen): Mythische Zeit und allegorische Zeitenthobenheit. Minnegrotte und Brackenseil

M. Fellenberg, N. Küster F. Lampart, A. Humbert D. Merlin, U. Reichelt C. Herberichs, J. Vollmann
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ZeitRahmen-Überschreitungen im vormodernen Erzählen
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ZeitRahmen-Überschreitungen im vormodernen Erzählen

Das Panel widmet sich der Frage, wie im vormodernen Erzählen Zeitrelationen mittels erzählerischer Rahmenüberschreitungen (oder vice versa) hergestellt bzw. sichtbar gemacht werden; im Fokus stehen also Konzepte des Transgressiven in ihrem Verhältnis zur Zeitlichkeit.

Katharina Philipowski evaluiert in ihrer Panel-Keynote die rein gegenwartsbezogene Funktion der Tempuskategorie Präsens in Hinblick auf mittelalterliches Erzählen. Ausgehend von der These des Präsens als ‚Atemporalis‘ (Vennemann) geht sie am Beispiel des Wilhalm von Wenden Ulrichs von Etzenbach der Frage nach, wozu Erzähler narrativer Texte punktuell das Präsens verwenden. Dass präsentische Erzähleräußerungen u.a. auf eine Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen und damit auf Verzerrungen der chronologischen Zeitwahrnehmung zielen können, greift der Beitrag von Antje Sablotny auf, die ausgehend vom Kyot-Exkurs in Wolframs Parzival Transzendenzphänomene in den Blick nimmt, die durch Brüche mit der Zeitlichkeit vermittelt werden. Im dritten Vortrag diskutiert Sebastian Holtzhauer Zeitrelationen zwischen Dies- und Jenseits in Bezug auf die Brandantradition: Während in der lat. Navigatio die christlichen Jenseitsräume insbesondere zeitlich und in teils paradoxer Weise bestimmt werden, inszeniert die dt. Reisefassung Grenzüberschreitungen von der Intra- zur Extradiegese mittels schriftgebundener Legitimationsstrategien, um dem Rezipienten überzeitliche Wunder Gottes zu beglaubigen. Die damit angedeutete mediale Perspektive rückt abschließend bei Nadine Jäger ins Zentrum: Sie liest die Trinkheischen der ‚Spielmannsepen‘ als transgressive Performanzgesten und erörtert davon ausgehend u.a. den prekären Überlieferungsstatus jener Markierungen des kommunikativen Rahmens.

Im Rahmen des Panels soll erörtert werden, wie ZeitRahmenÜberschreitungen Erzähltexte des Mittelalters in formaler und funktionaler Weise affizieren, aber auch, inwiefern sie kultur- und medienhistorische Bedingungen ihrer Zeit reflektieren.

Vortragende:

Prof. Dr. Katharina Philipowski (Potsdam): „Wann und wo ist nû? Formen des Präsens-Gebrauchs in Ulrichs von Etzenbach Wilhalm von Wenden“

Antje Sablotny, M.A. (Dresden): „ZeitRahmenÜberschreitungen und Transzendenz im Kyot-Exkurs des Wolfram’schen Parzival“

Sebastian Holtzhauer, M.A. (Osnabrück): „Jenseits des Diesseits. Narration und Narrativierung von (Un)Endlichkeit in der lateinischen und deutschen Tradition des Brandanstoffs“

Nadine Jäger, M.A. (Wuppertal): „man wolle dan dem leser eins drincken geben. Zu transgressiven Performanzgesten und deren Überlieferungsstatus in den ‚Spielmannsepen‘“

Sprachgeschichte als Diskursgeschichte(n) TEIL II
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Sprachgeschichte als Diskursgeschichte(n) TEIL II

Vortragende:

Thomas Niehr (Aachen): "Migration – Medien – Wahrheit. Der neuere Migrationsdiskurs und seine medienkritische Begleitung"

Steffen Pappert/Kersten Sven Roth (Essen/Düsseldorf): "Niemand hat die Absicht, Mauern einzureißen. Der Ost-West-Diskurs seit 1990 in diskurssemantischer und diskurspragmatischer Perspektive"

Ulrich Welbers (Düsseldorf): "„Ein jegliches hat seine Zeit“. Transformationen religiöser Bedeutungskonstitution im öffentlichen Sprachgebrauch"

Geschmack und Zeit. Zur temporalen Ökonomie der Wahrnehmung
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Geschmack und Zeit. Zur temporalen Ökonomie der Wahrnehmung

„Immer aber“, schreibt Friedrich Schlegel, „hat das Interessante in der Poesie nur eine provisorische Gültigkeit.“ Und interessant, das ist in der modernen Literatur- und Medienlandschaft, zuvorderst das Neue. Seit Schlegel hat die Zahl der Neuerscheinungen und die Frequenz des Neuen beständig zugenommen; doch bescheiden sich die meisten nicht mit einer gleichbleibenden Zahl konsumierter Medien, sondern integrieren mehr und mehr in die gleiche – oder im Verhältnis zu den Neuheiten – nur geringfügig mehr zur Verfügung stehenden Zeit. Dennoch treffen sie dabei jedes Mal aufs Neue ein Geschmacksurteil, und entscheiden, ob ein Gegenstand interessant erscheint, ob er gefällt, süß ist usw., kurz: ob irgendeine Form der Resonanz erzeugt wird oder eben nicht: und folgerichtig wieder zur Seite gelegt oder im Newsfeed weitergescrollt wird. Diese Bildung von Geschmacksurteilen findet im Sekundentakt statt.

Uns interessiert, wie sich das Verhältnis von Zeit und Geschmack, Wahrnehmung und Beurteilung angesichts der zunehmend knapper empfundenen Ressourcen Zeit entwickelt. Die mediale Beschleunigung scheint zwei (mögliche) Konsequenzen im Kampf um Aufmerksamkeit und Resonanz zu zeitigen: Kleine Formen passen sich der Ressourcenknappheit an und verringern ihren zeitlichen Rezeptionsbedarf; zum anderen aber wandelt sich auch das Rezeptionsverhalten, zum binge-watching bei 1,5‑facher Abspielgeschwindigkeit und zum ‚schnellen’ Lesen, einer akzelerierten Wahrnehmung in immer kürzer getakteten Intervallen. Ob dieser Wechsel der Temporalisierungsform als Symptom einer digital entgrenzten Epoche der Popmoderne gelten kann, wollen wir in unserem Panel diskutieren.

Vortragende:

Niels Penke (Siegen): Thematische Einführung

Patrick Hohlweck (Berlin): "Offene Zeit: Baumgartens ästhetische Übung"

Mirta Devidi (Mainz): "'So tauml’ ich von Begierde zu Genuß, und im Genuß verschmacht’ ich nach Begierde'. Geschmack und Zeit bei Friedrich Schlegel"

Niels Werber (Siegen): "Geschmack und Zeit"

Ethel Matala de Mazza (Berlin): "Was war der Telegrammstil?"

Florian Lippert (Groningen): "Dokumentar- und Essayfilme zur Flüchtlingskrise im Kontext massenmedialer Komplexitätsreduktion"

Zeit der Moderne – moderne Zeit TEIL II
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Zeit der Moderne – moderne Zeit TEIL II

Die Vorträge dieses Panels adressieren den Umgang mit Zeit und Zeitlichkeit in der Moderne im weiteren Sinne, d.h. von der Gründerzeit mit ihrer Technisierung bis in die Zeit der historischen Avantgarden. Sie nehmen dabei ein breites Spektrum von Texten und Themen in den Blick: Es erstreckt sich von der Frage nach der Rolle moderner Technik und Logistik in Fontanes Romanen über die Rolle der Zeit in Konzeption und Komposition von Nietzsches zwischen Philosophie und Dichtung oszillierendem Zarathustra bis hin zur Rezeption der historischen Tiefenzeit Darwins. Die Vorträge werden Zeitlichkeiten und Zeitstrukturen verschiedener Schreibprojekte analysieren, bei Hugo von Hofmannsthals Turm, in Walter Benjamins Tagebüchern und, anhand der Verschaltung von Vergangenheit und Zukunft, bei verschiedenen Akteuren der Avantgarden.

Vortragende:

Isabell Oberle M.A. (Freiburg): 'Formen und Funktionen des Wartens in Hofmannsthals Tragödie Der Turm (1923/25/27)

Dominik Pensel M.A. (München): '„Und nun setzte sich der Zug in Bewegung…“: Das Eisenbahnparadigma in Fontanes Cécile

Janina Meissner (Gent): 'Walter Benjamins Tagebücher'

Sebastian Speth (Mannheim): 'Permanente Zukunft. Zur zeitlichen Interferenz im sozialistischen Festspiel um 1890

Elisabeth Flucher M.A. (Osnabrück): 'Von der philosophischen zur poetischen Zeit –die Überwindung der tragischen Zeitauffasung in Nietzsches Also sprach Zarathustra

Dr. Tobias Wilke (Basel): Zukünftige Ursprünge: Zur temporalen Logik der historischen Avantgarde

Erwarten und Erleben des Moments in Literatur und Film
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Erwarten und Erleben des Moments in Literatur und Film

Vortragende:

Prof. Dr. Gaby Pailer (Vancouver): "Ein Augenblick gelebt im Paradiese..." Kulminationspunkte von Gewalt und Freiheit in Winsloe/Sagans

Dr. Lina Uzukauskaite (Kaunas): Ingeborg Bachmanns implizite ästhetisch-kritische Theorie. Das Schöne als Augenblick

Antje Schmidt, M. Ed. (Hamburg): Carpe diem! Poetische Reflexionen des fruchtbaren Augenblicks in barocker und zeitgenössischer Lyrik

Maike Rettmann M.A. (Düsseldorf): Warten und Metapher – Warten in Metaphern. Anne Dudens Zungengewahrsam. Erkundungen einer Schreibexistenz.

A. Bendheim, M. S. Hammer C. Spieß, M. Wengeler N. Penke, N. Werber M.-G. Dehrmann G. Pailer, M. Rettmann

Themenbereich 3: Zeit als historische Kategorie

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Mittelalter – Romantik – Mittelalterromantik? Ein diachroner Blick auf das Mittelalter als ,Epoche‘ TEIL II
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Mittelalter – Romantik – Mittelalterromantik? Ein diachroner Blick auf das Mittelalter als ,Epoche‘ TEIL II

Vortragende:

Prof. Dr. Nine Miedema (Saarbrücken)

Markus Kremer M.A. (Bielefeld)

Die Novelle – eine zeitgemäße Gattung. Fachwissenschaftliche und fachdidaktische Perspektiven auf die deutschsprachige Novellistik des 21. Jahrhunderts TEIL II
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Die Novelle – eine zeitgemäße Gattung. Fachwissenschaftliche und fachdidaktische Perspektiven auf die deutschsprachige Novellistik des 21. Jahrhunderts TEIL II

Auch literarische Gattungen haben ihre Zeit. Mit der deutschsprachigen Novelle wird in der Regel das 19. Jahrhundert assoziiert, aber damit gerät völlig aus dem Blick, dass diese Gattung seit längerem eine Renaissance erlebt. Spätestens seit Martin Walsers „Ein fliehendes Pferd“ (1978) erweisen sich Novellentexte wieder als spannend und verkaufsträchtig, wie zuletzt das Beispiel von Bodo Kirchhoffs „Widerfahrnis“ (2016) belegt. Festzustellen ist dabei insbesondere ein geschärftes Gattungsverständnis der Autorinnen und Autoren: Wer seinen Text heute ‚Novelle‘ nennt, verwendet keine austauschbare Gattungsbezeichnung, sondern nimmt – das ist eine zentrale Ausgangsthese unseres Panels – explizit und bewusst Bezug auf eine reichhaltige und oft als bekannt vorausgesetzte Geschichte des novellistischen Erzählens und seiner spezifischen Elemente.

Vor diesem Hintergrund fragen wir nach der Aktualität der Gattung, den Gründen für ihre Renaissance, der intertextuellen Vernetzung mit der Tradition und insbesondere nach den ästhetischen Techniken, über die die Gattungsqualität neuer Novellen literarisch kommuniziert wird. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei auch intermedialen Bezügen, vor allem zwischen Novelle und Film: Viele Novellen wurden in den letzten Jahren verfilmt, wie z.B. Dirk Kurbjuweits „Zweier ohne“; gelegentlich lief die Inspirationsrichtung auch umgekehrt, wie in Ulrich Tukurs Novelle „Die Spieluhr“, die einen Film fortschreibt.

Im schulischen Lektürekanon ist die traditionell als ‚Erzählung mittlerer Länge‘ definierte Novelle fest etabliert. Die aktuelle fachdidaktische Diskussion widmet der Gegenwartsliteratur eine verstärkte Aufmerksamkeit, so dass sich die Frage stellt, welche Novellen des 21. Jahrhunderts sich für den schulischen Kompetenzerwerb eignen.

Das Panel verbindet literaturwissenschaftliche und literaturdidaktische Perspektiven in überwiegend einzeltextbezogenen Beiträgen. Interpretiert werden Novellentexte aus den letzten zwei Jahrzehnten – manche dürfen bereits jetzt als kanonisiert gelten, wie die zahlreichen Gattungsbeiträge Hartmut Langes oder die vielgelesene „Schweigeminute“ von Siegfried Lenz, andere sind für ein breiteres Publikum noch zu entdecken, wie der existentiell erschütternde Text „Auflaufend Wasser“ des Autorenduos Astrid Dehe und Achim Engstler.

Vortragende:

Söhnke Post (Hannover): "Zeit zu lieben, Zeit zu lernen. Die Novelle „Schweigeminute“ von Siegfried Lenz – Professionsethik aus literaturdidaktischer Perspektive" 

Bernhard Winkler, M. A. (Regensburg): "Die Suche nach der großen Chiffre – Botho Strauß‘ „Die Unbeholfenen“"

Phillip Helmke (Hannover): "Die Gegenwart der Vergangenheit: Gattungsbewusstsein in Günter Grass' Erinnerungsnovelle „Im Krebsgang“ von Günter Grass" 

Ellen Schindler-Horst (Velen): "Raum und Ort als Metaphern innerseelischer Zustände in Hartmut Langes „Das Haus in der Dorotheenstraße“"

Dr. Julia von Dall´Armi (Braunschweig): "„2er ohne“ (2009): Novellistisches Erzählen im Film und sein didaktisches Potential im Deutschunterricht"

Szenen aus dem Coupé und Studien vor den Schienen: Raum-zeitliche Figurationen der Eisenbahn im 19. Jahrhundert
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Szenen aus dem Coupé und Studien vor den Schienen: Raum-zeitliche Figurationen der Eisenbahn im 19. Jahrhundert

Kaum eine andere Erfindung hat die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts in ihrer Erfahrung von Raum und Zeit so beeinflusst wie die Eisenbahn. Die zunächst als Erschütterung der Zeit empfundene technische Neuerung wird schnell zur alltäglichen Erfahrung, wie Texte des Realismus und des Naturalismus zeigen (vgl. Mahr 1982; Heinimann 1992; Borscheid 2004). Thematische Bezugnahmen lassen eine neue Raumwahrnehmung erkennen und führen zur Ausbildung literaturspezifischer Topoi wie Coupé- oder Bahnhofszenen. Narrative Strukturierungen des Blickes etablieren sich, die Geschwindigkeit und Sichtverhältnisse in Beziehung setzen. Blicke werden gerahmt, imitieren das Panorama der Zugfahrt oder die Fluchtlinien des Schienennetzes. Zudem zeigt sich eine veränderte Zeitwahrnehmung: Zeit wird als beschleunigt empfunden (vgl. Rosa 2005, 2013), sie dehnt sich aus der Perspektive des ruhenden Reisenden und erfährt Reglementierung und Taktung.

Dem Zusammenspiel von literarischen Figurationen der Eisenbahn und neuen Raum- und Zeitwahrnehmungen geht das Panel in fünf Vorträgen nach, die abschließend gemeinsam diskutiert werden: Gschwandtner wirft anhand Nestroys „Eisenbahnheirathen“ (1843) einen Blick auf die erste Phase der Innovationsgeschichte der Eisenbahn, die geprägt ist von unterschiedlichen Sichtweisen auf die neue Erfahrung von Geschwindigkeit und Mobilität. Haupt zeigt anhand Raabes „Meister Autor“ (1873), wie durch die Zäsur des Eisenbahnunfalls die Kategorien Wahrnehmung und Zeit abrupte Veränderung erfahren. Dem männlich geprägten Technisierungsdiskurs stellt Aadam mit Viebigs „Das Weiberdorf“ (1902) eine weibliche Perspektive gegenüber, die raum-zeitliche Figurationen mit poetologischen Debatten des Naturalismus verknüpft. Dirscherl liest Liliencrons „An einem Bahnhofe“ (1895) als naturalistische Lyrik im Zeichen der Moderne und zeichnet literaturgeschichtliche Entwicklungslinien nach, die sich an der inszenierten Zeitwahrnehmung offenbaren. Einen Überblick mit intermedialem Zugang skizziert schließlich Gräßner, indem sie anhand impressionistischer Gemälde demonstriert, mit welchen neuartigen Bildlösungen die Malerei den wahrnehmungsästhetischen Herausforderungen der neuen Geschwindigkeitserlebnisse begegnet.

Vortragende:

Harald Gschwandtner, Mag., M.A. (Salzburg): „Also vorwärts eing’stiegen!“ Johann Nepomuk Nestroys Eisenbahnheirathen oder: Wien, Neustadt, Brünn (1843)

Caroline Haupt, M.A. (Konstanz): Sentimentalische Raumzeit. Romantische ‚Verstiegenheiten‘ und Imaginationen des glatten Raums in W. Raabes Meister Autor (1873)

Dr. Margit Dirscherl (Oxford): Die Großstadt, von der Peripherie aus entdeckt. Detlev von Liliencrons Gedicht „An einem Bahnhofe“

N. Miedema, M. Kremer S. Kiefer, T. Mergen U. Milevski, L. Wetenkamp

Themenbereich 4: Zeit als historische Kategorie

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Zeitkonzepte in der Reiseliteratur im Zeitalter des modernen Tourismus
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Zeitkonzepte in der Reiseliteratur im Zeitalter des modernen Tourismus

Als zentraler Gegenstand von Reiseliteratur lässt sich naturgemäß die Beschreibung von Orten, von Ortswechseln, oder – ganz allgemein – von der Bewegung durch den Raum bestimmen. Mit der Erforschung von reiseliterarischen Texten sind erstmals Fragen der Raumwahrnehmung erkannt und festgehalten worden und haben sich raumtheoretische Konzeptionen etabliert. In kaum einem anderen literarischen Genre nimmt jedoch auch die Komponente der Zeit eine ähnlich essentielle Funktion ein. Gerade die touristische, rein Vergnügungszwecken unterliegende Reise ist als nur zeitweilige Positionsänderung temporär beschränkt; sie spielt sich gemeinhin in der Sphäre der Freizeit ab und stellt eine Auszeit vom Alltagsleben dar. Nur durch das Reisen ist es dem Menschen im Industriezeitalter, das von einer zunehmenden Mechanisierung allen Tuns gekennzeichnet ist, möglich, dem „versklavenden“ Hier – wie Krakauer es nennt – zu entkommen (Krakauer 1995). Unter tourismustheoretischen Gesichtspunkten ist das Reisen im Zeitalter des modernen Tourismus – insbesondere vor dem Hintergrund kontinuierlicher globaler Vereinheitlichungstendenzen – grundlegend vom Gefühl der Verspätung bzw. dem des ‚Zuspätkommens‘ charakterisiert (vgl. Teltscher 2002). Andererseits trachtet der Tourist nach einer Gegenwelt zur standardisierten Norm (vgl. Brenner 1990) und erhofft sich von der Reise auch eine Flucht in vergangene Zeiten – darauf, dass kulturelle Alterität oftmals im Sinne einer zeitlichen Differenz zwischen den Kulturen konstruiert wird, hat bereits J. Fabian verwiesen (vgl. Fabian 2014). Daneben ist auch die Ausgestaltung der Reise selbst immer zeitorientiert. Der Tourist ist stets auf eine Zeitersparnis und Zeitoptimierung bedacht. Als Gegenfigur zum Touristen hat sich im touristischen Diskurs der Reisende etabliert. In seiner Absicht, sich von touristischen Praktiken zu distanzieren, widersetzt sich der Reisende der gewissermaßen pragmatischen und zeiteffizienten Abarbeitung einer Liste sehenswerter Destinationen und damit den „transitorischen“ sowie „oberflächlichen“ (Dann 1998) Erfahrungen des touristischen Reisens; es kommt zu einer willentlichen Entschleunigung im Unterwegssein (vgl. Fuchs 2013). Als Grundpfeiler des „richtigen Reisens“ formuliert Ilija Trojanow daher in seinem gleichnamigen Essay die Reise zu Fuß (vgl. Trojanow), was Assoziationen mit der Figur des ehemals romantischen Wanderers aufruft. Diese scheinbar konträren, zeitstrukturell differenten Reiseverläufe produzieren komplexe Spannungsgefüge in Reisetexten, die im Panel genauer untersucht werden sollen.

Bibliographie:

Brenner, Peter (1990): Der Reisebericht in der deutschen Literatur. Ein Forschungsüberblick als Vorstudie zu einer Gattungsgeschichte, Oldenburg.

Dann, Graham (1998): Writing out the Tourist in Space and Time. In: Annals of Tourism Research 26, H. 1, S. 159-187.

Fabian, Johannes (2014): Time and the Other . How Anthropology Makes Its Object, With a New Postscript by the Author, Columbia.

Fuchs, Anne (2013): Defending Lateness. Deliberations on Acceleration, Attention, and Lateness 1900 – 2000. In: Lateness, ed. by Karen Leeder, new german critique 119 vol. 40.

Krakauer, Siegfried (1995): The Mass Ornament. Weimar Essays. Cambridge MA.

Teltscher, Kate (2002): India / Calcutta: City of Palaces and Dreadful Night. In: Cambridge Companion to Travel Writing, ed. by Peter Hulme and Tim Youngs, Cambridge.

Trojanow, Ilia: Richtig reisen? In: Trojanow.de (letzter Zugriff: 12.04.2018).

Vortragende:

Dr. Jan Robert Weber: "Erfahrungen von Entschleunigung und Zeitlosigkeit in der Reiseliteratur Hugo von Hofmannsthals, Eugen Gottlob Winklers, Ernst Jüngers, Heinrich Bölls und Alfred Anderschs"

Loreen Dalski (Mainz): "Reiseverdikte im Kontext des modernen Tourismus. Potenziale der Begrenzung bei Gottfried Benn und Wilhelm Genazino"

Dr. phil. Andreas Keller (Potsdam/Göttingen): "Zeit als kategorische Erfahrung im modernen Individualtourismus: Annemarie Schwarzenbachs Autotherapie um 1940"

Irene Faipò (Pavia): "Rom auf Zeit in der deutschen Gegenwartsliteratur. Die römischen Erfahrungen Uwe Timms, Klaus Modicks und Jan Koneffkes"

Die Zeit wird knapp. Zur Ressourcenlogik des ökologischen Erzählens TEIL II
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Die Zeit wird knapp. Zur Ressourcenlogik des ökologischen Erzählens TEIL II

In Zeiten ökologischer Krisen wird Zeit selbst zu einer umkämpften Ressource. Nicht nur Entscheidungsprozesse, auch narrative Zugriffe auf Natur hängen davon ab, wie viel Zeit „zur Verfügung“ steht. Die Beziehung von Zeit und Erzählung gewinnt im Falle fiktionaler wie nicht fiktionaler ökologischer Narrative, d.h. solcher, die einen besonderen Schwerpunkt auf das Verhältnis von Mensch und Umwelt legen, besondere Relevanz, weil sie die moderne Logik von Ressourcenbesitz und -verbrauch nicht nur offenlegt, sondern auch entscheidend prägt. Dauerhaftigkeit, Beschleunigung und Verlangsamung sind im ökologischen Erzählen sowohl Verfahren (z.B. Langsamkeit von Naturbetrachtung, Schnelligkeit von akuten Kata-strophenszenarien), als auch Motiv und Thema. So gewinnt beispielsweise die Behauptung der ‚Natürlichkeit‘, z.B. vorindustrialisierter Landwirtschaft oder indigener Jäger- und Samm-lergesellschaften, ihre moralische Schlagkraft erst aus der imaginierten Dauerhaftigkeit ihrer Existenz. Zeit wird hier benutzt, um qua ‚Haltbarkeit‘ eines bestimmten Verhaltens dessen Richtigkeit zu bekräftigen. Im Kontrast dazu erscheint die Gegenwart von Zeitarmut geprägt – Zeit wird knapp oder geht gar aus, so dass Entfremdung (von Natur) zu einem Zeitproblem in jeder Hinsicht wird. Ob es um die Chance geht, die globale Erwärmung auf wenige Grad Cel-sius zu begrenzen, Verluste an Biodiversität auf ein Minimum zu reduzieren oder den Erhalt von Ökosystemen zu gewährleisten, Zeit bestimmt als rhetorische, narrative und materiell wirksame Ressource Handlungs- und Darstellungsoptionen und wird damit nicht zuletzt zu einem wirksamen Instrument der Erzeugung und Lenkung von Emotionen.

Vortragende:

Dr. Sébastian Thiltges (Université du Luxembourg): „Bis zum Anthropo-zän und noch viel weiter: Space Mining in Luxemburger Hörspielen“

Dr. Solvejg Nitzke (TU Dresden): Im Handumdrehen zur neuen Welt. Ökologisches Erzählen als Anleitung zum guten Leben

Das 20. Jahrhundert in Generationserzählungen TEIL II
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Das 20. Jahrhundert in Generationserzählungen TEIL II

Mit dem Ende der von Reinhart Koselleck definierten „historischen Zeit“, bei der der Gedanke des geschichtlichen Fortschritts leitend war (Vgl. Reinhart Koselleck: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a.M. 1988.), scheint das lineare Erzählen von Generationserzählungen ebenfalls an ein Ende gekommen zu sein. Die emphatische Zukunftsversessenheit ist seit 1989 einer verstärkten Selbstreflexion im Hier und Jetzt gewichen. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts, seine Hinterlassenschaften und nachwirkenden Traumata nehmen zeitgenössische Generationserzählungen zum Anlass einer Revision und Umschrift. Die verstärkte Präsenz des Vergangenen kann dabei mit Hans Ulrich Gumbrecht als Teil einer Überflutung durch die Vergangenheit und ein Verharren in einer „breiten Gegenwart“ verstanden werden, andererseits aber auch mit Aleida Assmann als ein „Stück zurückgewonnener Normalisierung“ nach dem zukunftsfixierten Zeitregime der Moderne (Aleida Assmann: Ist die Zeit aus den Fugen? Aufstieg und Fall des Zeitregimes der Moderne, München 2013, S. 280.). Im Spannungsfeld von Fortschritt und einschlägiger Kritik fokussiert das Panel auf das letzte ahrhundert als Topos neuerer Generationserzählungen, wobei gegenüber den literarischen Biographien der zweiten Generation (U. Timm, U. Scheub, W. Bruhns, U. Hahn, A. Weber), die sich ausschließlich auf den Nationalsozialismus und die Folgen beziehen, in der dritten Generation eine thematische Aufspaltung in Erzählungen aus ganz Europa und die Verarbeitung neuer Traumata zu beobachten ist (N. Haratischwili, S. Bazyar, A. Geiger). Nicht zuletzt macht sich ein imaginativer Zugriff bemerkbar, bei dem vergessene, verschwiegene oder verlorene Dinge oder Geschehnisse aufgegriffen werden. Indem vom 20. Jahrhundert rückblickend das Ausgelassene mit erzählt wird, erweitern die Generationserzählungen das Geschichtswissen um eine poetische Version der möglichen Vergangenheit. Das Panel nimmt Einblick in diesen Problemkomplex und erkundet die Folgen für die Konstruktion der Gegenwart.

Vortragende:

Dr. Said El Mtouni (Fes): Bewältigung des Vergangenen. Erinnerung und Identität bei Uwe Timm

Aline Seidel M.A. (Marburg): „She grew up in the war. [...] Lost both parents. Doesn’t speak about it.“ (Jane Gardam, The Man in the Wooden Hat, 17)

Prof. Dr. Elin Nesje Vestli (Halden): Zwischen Fakten und Fiktion. Erich Hackls Generationserzählungen

D. Dora, K. Forster S. Nitzke A.-K. Gisbertz

Germanistentag 2019

Der 26. Germanistentag findet 2019 in Saarbrücken zum Thema Zeit statt.